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Der Tierarzt kommt

Der Tierarzt kommt

Titel: Der Tierarzt kommt
Autoren: James Herriot
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entgegen. »Eine Ewigkeit habe ich nach dem Ding gesucht. James, ich bin sicher, daß Sie absichtlich meine Instrumente verstecken.«
    Ich lächelte und erwiderte nichts, und als ich die Spritze auf den Rollwagen zurücklegte, ergriff mein Kollege wieder das Wort.
    »James, ich erwähne es nicht gern, aber war das nicht ziemlich voreilig von Ihnen, einfach nichts zu verlangen?«
    Ich sah ihn erstaunt an. »Das war ein Rentner. Der hat es bestimmt schwer.«
    »Mag sein, aber Sie können doch nicht einfach für nichts und wieder nichts arbeiten.«
    »Ach, gelegentlich schon, Siegfried – besonders in so einem Fall.«
    »Nein, James. Nicht einmal gelegentlich. Das geht einfach nicht.«
    »Aber Sie tun es doch selbst auch. Ich hab es schon so oft erlebt –«
    »Ich?« Er machte erstaunte Augen. »Nie und nimmer! Dazu kenne ich die harte Wirklichkeit des Lebens zu gut. Alles ist so schrecklich teuer geworden. Haben Sie ihm nicht eben diese M + B-693-Pillen gegeben? Wissen Sie überhaupt, daß die drei Pence das Stück kosten? Sie dürfen nicht ohne Honorar arbeiten.«
    »Aber verdammt noch mal, Sie tun es ja ständig!« platzte ich heraus. »Erst letzte Woche war da der...«
    Siegfried wehrte mit der Hand ab. »James, ich bitte Sie. Sie bilden sich Dinge ein, das ist Ihre Schwäche.«
    Ich muß ihn ziemlich verbittert angesehen haben, denn er trat auf mich zu und klopfte mir auf die Schulter.
    »Glauben Sie mir, mein Junge, ich verstehe Sie. Sie haben sich von edlen Motiven leiten lassen, und ich bin oft genug versucht gewesen, das auch zu tun. Aber Sie müssen hart bleiben. Wir leben in einer harten Zeit, und wenn man überleben will, muß man hart sein. Also vergessen Sie nie – wir sind nicht die Heilsarmee.«
    Ich nickte und ging nachdenklich meiner Wege, aber bald hatte ich den Vorfall vergessen, und ich hätte nicht wieder daran gedacht, wenn Mr. Bailey nicht eine Woche später wieder erschienen wäre.
    Sein Hund saß wieder auf dem Behandlungstisch, und dieses Mal gab Siegfried ihm eine Spritze. Ich wollte mich nicht einmischen, ging ins Büro zurück und setzte mich vor den Terminkalender. Es war ein Sommernachmittag, das Fenster war offen, und ich konnte durch die offene Gardine die Eingangsstufen sehen.
    Ich war bei meinen Eintragungen, als ich Siegfried und den alten Mann zur Tür gehen hörte. Sie blieben auf den Stufen stehen.
    »Tja, Mr. Bailey«, sagte mein Kollege. »Ich kann Ihnen nur das gleiche sagen wie Mr. Herriot. Den Husten wird er leider nicht los, aber wenn es schlimmer wird, müssen Sie wiederkommen.«
    »Danke, Mr. Farnon.« Der alte Mann griff in die Tasche. »Und was kostet das bitte?«
    »Was es kostet?... Ach ja... was es kostet...« Siegfried räusperte sich einige Male und schien kein Wort hervorbringen zu können. Er blickte auf den kleinen Hund und dann auf die schäbige Kleidung des alten Mannes. Dann warf er einen verstohlenen Blick zum Haus und flüsterte heiser: »Nichts, Mr. Bailey.«
    »Aber Mr. Farnon, ich kann doch nicht...«
    »Pst! Pst!« Siegfried winkte energisch ab. »Ich will kein Wort mehr darüber hören.« Er holte eine große Tüte hervor.
    »Hier haben Sie etwa hundert M + B-Pillen«, sagte er und blickte sich argwöhnisch um. »Er wird sie brauchen, und da hab ich Ihnen gleich einen guten Vorrat eingepackt.«
    Mein Kollege mußte das Loch in der Hose des alten Mannes entdeckt haben, denn er starrte lange in die Richtung, bevor er sich in die Jackentasche griff.
    »Einen Augenblick.« Er kramte seine ganze Habe aus. Ein paar Münzen rollten die Stufen hinunter, als er nacheinander Scheren, Thermometer, Bindfadenenden und Flaschenöffner in seine Hand gleiten ließ. Endlich hatte er das Gesuchte gefunden, und er zog einen Geldschein heraus.
    »Hier ist ein Pfund«, flüsterte er und hob nervös die Hand, als der Mann etwas sagen wollte.
    Mr. Bailey sah ein, daß jede Widerrede vergeblich war, und nahm das Geld.
    »Also vielen Dank, Mr. Farnon. Damit können meine Frau und ich nach Scarborough fahren.«
    »Ja, ja«, murmelte Siegfried und blickte sich schuldbewußt um. »Jetzt müssen Sie aber gehen.«
    Der alte Mann lüftete feierlich seine Mütze und schlurfte schwerfällig die Straße hinunter.
    »He, warten Sie«, rief ihm mein Kollege nach. »Was haben Sie? Sie sind nicht gut auf den Beinen.«
    »Ach, die verdammte Arthritis. Da braucht ein langer Weg halt lange Zeit.«
    »Und da müssen Sie bis zum Altersheim zu Fuß gehen?« Siegfried kratzte sich
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