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Der Teufel vom Waiga-See

Der Teufel vom Waiga-See

Titel: Der Teufel vom Waiga-See
Autoren: Stefan Wolf
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Schon zum zweiten Mal. Allmählich lerne ich, wie man das
macht. Daß ich älter aussehe, ist bei Bahnreisen ein Vorteil. Ich bin eine
Ausreißerin. Jajajaja! Aber Spaß macht es nicht. Wer ist eigentlich schuld
daran, daß es zu Hause nicht klappt? Meine Eltern oder ich? Immer dieser Zank
und diese Mißverständnisse. Doch nach außen hin eine polierte Fassade! Familie
von Durstilitsch, die Landedelleute!
    Sie schnitt eine Grimasse und
schulterte ihren City-Bag.
    Thea war blond und hatte helle
Haut, die nie richtig bräunte. Irgendwie sah sie nach Milch und Blut aus, aber
nett. Was ihre Klamotten betraf, unterschied sie sich nicht von den
Rucksack-Touristen: Jeans, T-Shirt, Blouson und ziemlich abgelatschte
Turnschuhe.
    Thea von Durstilitsch, die letzte
und einzige Tochter einer österreichischen Adelsfamilie, verließ die Toilette
und trat in die Hbf-Halle.
    Überfüllt. Das Mädchen war eben
erst angekommen. Wohin jetzt? Thea war ein Landkind. Die vielen Menschen
erschreckten sie.
    Also dorthin, wo es ein bißchen
ruhiger zuging.
    Die 14jährige verdrückte sich
in eine Laden-Passage.
    Dort war wenig Betrieb.
    Deshalb fiel ihr der Mann auf.
    Er war gut gekleidet, trug eine
Reisetasche aus genarbtem, grauem Leder und hatte sich den hellen Staubmantel
über die rechte Schulter gehängt.
    Der Mann verharrte zögernd an
einem der Abfallkörbe.
    Ohne es begründen zu können,
spürte Thea: Auch dieser Typ hatte ein schlechtes Gewissen.
    War er ausgerissen wie sie?
Wohl kaum.
    Wollte er was Giftiges,
Umweltfeindliches wegwerfen?
    Jetzt zog er die Hand aus der
Tasche.
    Und Thea erkannte, was er in
den Abfallkorb fallen ließ: einen Schlüssel.
    Dann ging er davon, rasch, und
ohne sich umzublicken. Aber seine kalten, gletscherhellen Augen richteten sich
für eine Sekunde auf das Mädchen.
    Mein Gott! Beinahe wäre Thea
erschrocken. Den kenne ich doch! Den habe ich schon irgendwo gesehen!
    Doch die Erinnerung streikte.
    Thea beließ es dabei und trat
zu dem Abfallbehälter.
    Der Schlüssel lag auf einer
Tüte fauliger Bananenschalen.
    Thea fischte ihn heraus — samt
Anhänger.
    Ein Zimmerschlüssel. Der
Anhänger ein Messing-Oval mit verschnörkeltem Rand. GRAND-HOTEL stand auf der
einen Seite — die Zimmernummer 406 auf der andern.
    „Trifft sich gut“, sagte eine
kräftige, sehr vereinnahmende Stimme neben Thea. „Den kannst du mir überlassen.
Ich geh’ dort vorbei und gebe ihn gern ab.“

2. Zimmerschlüssel 406
     
    Tim lächelte freundlich, merkte
aber sofort, wie das Mädchen erschrak. Ihr Gesicht wurde noch heller — gerade,
daß sie nicht mit den Zähnen klapperte. Unwillkürlich wich sie zurück.
    „Keine Sorge!“ Er grinste.
„Junge Mädchen fresse ich nur, wenn sie gut gebraten sind.“
    „Ich bin etwas schreckhaft
heute. Entschuldige!“ Sie strich eine blonde Strähne aus der Stirn. „Wenigstens
bist du kein Polizist, der mich einfängt und nach Hause schickt.“
    Tim begriff sofort.
„Ausgerissen?“
    Sie nickte.
    „Ich heiße Tim.“ Er streckte
ihr die Hand hin.
    Thea mißverstand das und gab
ihm den Schlüssel. Daß sie Thea heiße, erklärte sie.
    „Es ist ja nicht für immer, Tim.
Auswandern will ich nicht. Aber meine Eltern machen einen Zoff... Jetzt sollen
sie ruhig ein bißchen bibbern. Wenn ich kein Geld mehr habe, fahre ich sowieso
zurück.“
    „Zurück wohin?“
    „Ich komme aus Österreich.
Goschendorf am Waiga-See. Wir haben da ein Landgut, einen sogenannten
Herrensitz. Mit allem Drum und Dran.“
    „Na, prima! Ich bin hier
Internatsschüler. Kommst du zurecht? Ich kenne eine Menge Leute in der Stadt,
sogar den Polizei-Präsidenten. Ich könnte dir sagen, an wen du dich wendest,
wenn du Schwierigkeiten kriegst.“
    „Nett von dir.“ Sie lächelte
wie ein Sonnenaufgang am Waiga-See. „Aber ich übe Selbständigkeit. Übrigens —
den Schlüssel hat ein Typ weggeworfen.“
    „Habe ich gesehen“, nickte Tim.
„Allerdings nur von weitem. Und den Mann nur von hinten. Dem hätte ich was
erzählt. Ist doch unverschämt. Daß ein Hotelgast versehentlich den
Zimmerschlüssel mitnimmt, kann ja vorkommen. Aber dann schickt man ihn zurück.
Das hier ist nicht die feine Art.“
    „Du kommst am Grand-Hotel
vorbei?“
    „Ich besuche dort jemanden.
Aber erst“, Tim sah auf seine Billiguhr, „hole ich meine Freundin ab. Sie ist
an Gleis 34. Bleibst du noch hier? Oder fährst du weiter?“
    „Ich möchte mir die Stadt
ansehen.“
    „Das lohnt sich. Vielleicht
sehen wir uns noch.
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