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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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diese Frau noch sehen könnte und jenen Freund und noch einmal in den Prado gehen und die Bilder des Velasquez beschauen und die des Goya. Und warum muß ich gerade jetzt sterben, so kurz vor der endgültigen Niederlage der Barbaren? Und »Carmen« möchte ich noch einmal hören in der Moskauer Oper. Und es wird ein Wein sein, und wir werden nimmer sein, und es wird schöne Mädel geben, und wir werden nimmer leben.
    Dann mußte ich wieder auf, und noch mehrmals mußte ich auf in jener Nacht und den bösen Weg machen, dem Zentrum des Gestankes zu.
    Es war eine Nacht im Juli. Sie dauerte keine sieben Stunden. Mir dauerte sie viele Jahre.

    Karl kam, um mir beim Anziehen zu helfen. Herr Wolf fragte, wie es mir gehe und was ich frühstücken wolle. Ich erwiderte, ich fühle mich hundeelend. Im Halbdunkel des Zeltes konnte man einen nicht recht sehen. Sie beugten sich herunter, um mich zu betrachten. Sie erschraken.
    Der junge österreichische Arzt kam, ein zweiter Arzt. Sie machten bedenkliche Gesichter, überlegten. Sie kannten die französischen Hospitäler, sie schickten ihre Kranken selbst in normalen Zeiten nicht hin, geschweige in diesen.
    Unser Lagerhospital hielten sie für eine Anstalt, dem Sterben mehr förderlich als dem Genesen. Die Kranken lagen da in einem kahlen, feuchten Raum, einander behindernd, einander ansteckend. Wer zur Latrine wollte, mußte sich über eine hohe, steile Treppe schleppen. Die Ärzte fanden, es wäre das beste, wenn ich im Zelt bleiben könnte. Wie aber sollte ich, erschöpft wie ich war, im Tag zwei Dutzend Mal den Weg durch die Zeltstadt zur Latrine zurücklegen? Man müßte einen Kübel im Zelt aufstellen; Karl, abwechselnd mit einem zweiten, könnte ihn jeweils leeren.
    Aber werden die andern Insassen des Zeltes dergleichen dulden? Kann man es ihnen zumuten? Die Ärzte muteten es ihnen zu, und die Zeltgenossen erklärten sich ohne Zögern einverstanden. Darüber hinaus stell ten sie einen Teil ihrer Wasserration zur Verfügung, damit der Kübel gereinigt werden könne.
    Ich werde die jämmerliche und groteske Situation nicht vergessen, wie ich, von Karl unterstützt, schwach und kläglich auf dem Kübel hockte, während der dicke Herr Wolf wie ein Erzengel im Zelteingang stand und niemand hereinließ. Überhaupt bewährte sich Herr Wolf großartig in dieser bösen Zeit. Er beschaffte, weiß der Himmel wie, das notwendige Opium, das die französischen Ärzte nicht auftreiben konnten. Er steckte mich in seinen Schlafsack, daß ich des Nachts nicht fröre, und fror selber. Meine Krankheit war eine der nicht vielen Gelegenheiten in meinem Leben, da ich es erleben durfte, daß andere mich selbstlos unterstützten und betreuten. Eine Mutter hätte mich nicht besser umsorgen können als der dickliche Herr Wolf. Auch mein Karl und der junge österreichische Arzt blieben Tag und Nacht hindurch um mich bemüht.
    Ich lag die meiste Zeit über in dumpfem Halbwachen. Ich träumte viel Unsinn zusammen und mag wohl auch viel Unsinn geschwatzt haben. Unablässig grub ich aus meinem Gedächtnis Verse aus, Gedichte, halbe Dramen, die ich einmal auswendig hatte lernen müssen. Sehr nagte es an mir, daß ich nicht ausfinden konnte, wie der trochäische Baum jenes Heine-Verses hieß.
    Um die Mittagszeit war es im Zelte furchtbar heiß. Ich spürte es kaum, ich lag Tag und Nacht in Fieber und Hitze. Ab und zu, mit Erlaubnis Herrn Wolfs oder des Arztes, schaute einer meiner Freunde herein, blieb etliche Minuten bei mir, sprach ein paar Worte, ging wieder. Alle erschraken über mein Aussehen.
    Zu essen bekam ich so gut wie nichts, Tee, Opium, Alkohol. Mir wurde es bald zuwider, daß meinem Tee immer so viel Alkohol beigemischt war, mein Schädel war an sich dumpf genug. Doch die Ärzte bestanden darauf.
    Am vierten Tag ging das hohe Fieber jäh herunter. Da aber fühlte ich mich besonders schwach, und ein wölfischer Hunger riß an meinen Eingeweiden. Man wollte indes nicht erlauben, daß ich äße, und als ich am fünften Tag des Morgens und des Abends einen Zwieback zu meinem Tee bekam, war das ein großes Zugeständnis.
    Dann hockte ich ein erstes Mal wieder in der Sonne vor dem Zelt. Viele gingen vorüber und blieben stehen und bezeigten mir Teilnahme. Und wieder waren alle erschrocken über mein Aussehen.
    Es kam ein kleiner Rückfall, dann wurde es endgültig besser. Man gab mir mehr zu essen, Kakao mit Zwieback, dann Wein mit Ei.
    Sich genesen fühlen, das war mir immer als Seligkeit erschienen.
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