Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
Vom Netzwerk:
nach den Speisen schielte. Sie selber hatte Obst und voll großen Stolzes auch Schokolade mitgebracht, und sie war beinahe enttäuscht, als sie wahrnahm, daß sie uns damit kein großes Geschenk machte; was sie unten in der Stadt nur mit Mühe hatte auftreiben können, besaßen wir hier oben in Fülle.
    Marta, wie gesagt, jammerte nicht über das, was sie hatte erleben müssen, doch gerade die sachlichen De tails, die sie über das Frauenlager in Gurs erzählte, waren dazu angetan, einem das Herz zusammenzuschnüren. Da hatte man zum Beispiel auch hochschwangere Frauen ins Lager gebracht, und es waren Kinder zur Welt gekommen. Nun fehlte es in Gurs wie in den meisten französischen Lagern an Wasser, und so erhielten, wenn dort ein Kind geboren wurde, sehr viele Frauen keinen Frühstückskaffee, weil dann ein großer Teil des Wassers für die Wöchnerin benötigt wurde.
    Die Latrinen scheinen ähnlich wie die unsern gewesen zu sein. Der Grund des Lagers Gurs ist lehmig, und wenn es regnete – es regnet häufig in den Pyrenäen –, dann war das Lager ein einziger Sumpf. Es blieben dann viele Frauen auf dem Weg zu den Latrinen einfach im Schlamm stecken, man mußte ihnen heraushelfen, ihre Schuhe waren verloren.
    Die Zahl der Frauen, die in Gurs interniert waren, schwankte, sie lag um zehntausend herum. Die Franzosen internierten einfach und blind alle Frauen, die irgendwann irgendwas mit Mitteleuropa zu tun gehabt hatten. (Nur das Departement, in dem die Stadt Nîmes war, machte eine rühmliche Ausnahme.) Interniert worden waren zum Beispiel auch meine Sekretärin, wiewohl sie Schweizer Staatsangehörige, und ihre Schwester, wiewohl sie Engländerin war. Interniert worden waren selbst französische Mütter französischer Soldaten, wenn diese Mütter in Deutschland geboren oder mit in Frankreich lebenden Deutschen verheiratet waren. Immer deutlicher wurde es, daß hinter der ganzen Maßnahme von Anfang an kein vernünftiger militärischer Grund gestanden hatte, sondern daß ihre letzte Triebfeder der Haß gewesen war, der Haß der heimlichen französischen Hitler-Anbeter gegen die deutschen Antifaschisten. Wie schamlos weit die französischen Faschisten zu gehen wagten, sah ich, als einige Wochen später die Abendzeitung der Stadt Marseille »Le Soleil« in einem Leitartikel mit der harmlosen Überschrift »Postalische Schwierigkeiten zwischen der besetzten und der unbesetzten Zone« verlangte, die Nazis sollten doch auch die bisher freien Teile des Landes besetzen.
    Ich glaube nicht, daß Marta und ich während der vier Tage, da sie jeweils einige Stunden bei mir sein konnte, auch nur ein einziges Mal auf die französischen Behörden schimpften, auf den im besten Fall verbrecherischen Leichtsinn der Maßnahmen, die uns in diese Situation gebracht hatten. Wir hatten beide längst gelernt, die Dummheit und Herzensträgheit der Menschen als etwas Gegebenes hinzunehmen, über das zu sprechen überflüssig war.
    Hingegen versuchte Marta ihren Aufenthalt in Nîmes auszunutzen, um mir zu helfen. Sie ließ nicht ab, die zuständigen Zivil- und Militärbeamten zu bedrängen, sie sollten mich befreien. Sie fand die Herren höflich und wohlwollend. Man sah mir die Folgen der überstandenen Krankheit noch an. Marta war über mein Aussehen sehr erschrocken, sie verstand es, ihre Besorgnis auf die Herren zu übertragen. Das gab einem der Offiziere eine Idee. Er meinte, aus dem Lager könne ich nicht ohne weiteres entlassen werden, da meine Befreiung einen unwillkommenen Präzedenzfall schüfe. Würde ich aber in ein Hospital überführt, so konnte ich von dort aus ohne viel Aufsehen unbegrenzten Urlaub erhalten, um mich auf eigene Rechnung auszukurieren.
    Eines Tages wurde ich denn auch zum Lagerarzt gerufen. Der Arzt, ein neuer, fragte mich: »Wie fühlen Sie sich?« Ich hatte Martas Erzählung von dem Plan des Offiziers nur mit halbem Ohr gehört, ich gab längst nichts mehr auf das tröstliche Gerede der französischen amtlichen Stellen, ich hatte das ganze Projekt vergessen und wußte durchaus nicht, was der Arzt, der mich so unerwartet hatte rufen lassen, von mir wollte. Ich glaubte, er habe Vorwürfe bekommen wegen meines schlechten Gesundheitszustandes und wollte mich in die schauerliche Krankenbaracke stecken. Ich erwi derte also: »Ich fühle mich leidlich wohl.« Der Arzt hieß mich die Hosen herunterlassen, drückte etwas an meinem Bauch herum und fragte: »Tut es weh?« Ich verneinte eifrig. Er brummte: »Na ja, dann
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher