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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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ist ja alles gut. Ziehen Sie sich wieder an. Danke.« Damit ging ich. Weder er noch ich hatten die List des Generalstabs begriffen, und der Versuch des findigen Offiziers, mich zu entlassen, war gescheitert.

    Die Lagerleitung erlaubte uns, im Fluß zu baden. Es gingen also in diesen heißen Tagen jeden Nachmittag ein paar hundert Leute hinunter zum Fluß. Es war eine gute Stunde Wegs. Ein Sergeant und ein paar Soldaten wurden mitgeschickt, sie kümmerten sich nicht um uns, sondern besorgten ihre eigenen Geschäfte.
    Der Fluß, ich weiß nicht mehr, ob er le Gard heißt oder le Gardon, windet sich in jener Gegend durch ein tiefes Tal. Die Schlucht, in der wir badeten, bot vielerlei Abwechslung. An dieser Stelle gab es eine starke Strömung, an jener floß das Wasser so unmerklich, daß man schwamm wie in einem Teich, hier gab es hohe, felsige Ufer, hier grasige Hänge, hier bewaldete. Das Wasser war grün und klar, bald fünf oder sechs Meter tief, bald ganz seicht.
    Wer die paar hundert Männer sah, Männer jeden Alters, die sich da nackt im Wasser und in der Sonne tummelten, lachend, schwatzend, sich jagend, schwimmend, tauchend, ihre Künste zeigend, wäre schwerlich auf den Gedanken gekommen, daß er es hier mit Gefangenen zu tun hatte, von denen manche am Leben bedroht waren und von denen kaum einer wußte, was aus ihm werden sollte. Vor allem für meinen Karl waren diese Badestunden große Zeit. Er war ein leidenschaftlicher, geübter Schwimmer und Taucher, er holte jede Münze aus dem Wasser, die man hineinwarf, und wenn sie sich noch so tief versteckt hatte. Auch für mich waren diese Badestunden gute Zeit. Freilich war mir der lange Rückweg oft beschwerlich, andernteils war es mir recht, wenn ich mich abmüdete; ich konnte dann des Nachts eher schlafen.

    Im Lande herrschte Anarchie. Niemand wußte recht, wer zu befehlen hatte. Die Präfekten, soweit sie nicht sogleich durch andere waren ersetzt worden, rechneten damit, in nächster Zeit davongejagt zu werden, und scheuten sich, einschneidende Maßnahmen zu treffen. Von der sogenannten Zentralregierung kamen ungenügende Weisungen. Die faschistische Zentralregierung selber war der Mehrzahl der Bevölkerung und der Beamten verhaßt; man warf ihr vor, sie trage die Hauptschuld an der Niederlage und zettle mit den Nazis. In allen Büros saßen Feinde der neuen Regierung, welche ihre Verfügungen sabotierten, und die neuen Beamten, welche von dieser Regierung eingesetzt waren, fanden sich nicht zurecht. Die Kontinuität der Amtsführung bestand nur darin, daß die neu eingesetzten, schlecht bezahlten Beamten ebensogerne Schmiergelder nahmen wie die früheren.
    In den Zeitungen standen strenge Mahnungen an die Soldaten, sie sollten sich nicht selber demobilisieren. Wer keinen ordentlichen Demobilisierungsschein besitze, werde es schwer haben, Arbeit zu erhalten. Allein viele Soldaten gingen trotz dieser Warnung einfach nach Hause. Diejenigen, die blieben, taten und ließen, was ihnen beliebte. So machten es auch unsere Wachsoldaten. Man schickte, um sie zu verstärken, ein Detachement Garde Mobile, Gendarmerie, die verläßlichste Truppe, über die das Land noch verfügte. Doch als die Gendarmen sahen, daß es in unserm San Nicola keine Betten für sie gab und daß sie Gefahr liefen, Dysenterie zu bekommen, zogen auch sie einfach wieder ab.
    Die Offiziere machten kein Hehl daraus, daß sie unsere Überwachung als eine lästige Pflicht ansahen, für sie selber kaum weniger erniedrigend als für uns. Sie fühlten sich als Zivilisten, ihre Uniform als schieres Kostüm. Einer, ein Bankier, ging in allen Zelten herum, fragte, wer Dollars zu verkaufen habe, versprach auch meinem Karl eine Provision, wenn der ihm Leute brächte, die Dollarnoten zu verkaufen wünschten.
    Wohl war der Stacheldraht noch da, wohl standen noch Wachen davor, doch niemand mehr kümmerte sich darum. Unsere Frauen und Kinder besuchten uns in den Zelten. Vorüber waren die Zeiten, da sie sich außerhalb des Lagers gehalten hatten, ängstlich solche Plätze aufsuchend, wo sie von Gendarmen und Wachsoldaten nicht erwischt würden. Jetzt begaben sie sich ungescheut ins Lager und blieben dort die Tage und wohl auch die Nächte über.
    Es wäre unter diesen Umständen sehr leicht gewesen, das Lager zu verlassen und irgendwo im unbesetzten Frankreich unter viel angenehmeren Bedingungen zu leben. Aber es ging uns ja um mehr, es ging uns darum, aus dem Lande, aus Frankreich fortzukommen. Denn dieses
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