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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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ganze Land Frankreich war ein einziges großes Gefängnis geworden, und seine Wärter waren unsre grimmigsten Feinde, die Nazis. Voraussetzung aber eines jeden Versuches, aus Frankreich herauszukommen, war der Besitz ordentlicher Papiere. Wenn es für die Soldaten nicht ratsam war, die Truppe ohne Demobilisierungsschein zu verlassen, so war es noch viel weniger ratsam für uns, aus dem Lager illegal davonzugehen. Denn der nicht »en règle« war, mochte sich zwar mehrere Tage oder Wochen komfortableren Lebens verschaffen, aber er verbaute sich die Aussicht, jemals aus dem feindlichen Europa herauszugelangen. Es war einfach unmöglich, ohne Papiere aus dem feindlichen Frankreich heraus durch ein feindliches Spanien und ein wenig freundliches Portugal und von dort nach einem bürokratisch umständlichen Überseeland zu gelangen. Von neuem also bestürmten wir die Behörden, uns doch endlich, endlich zu entlassen. Mit Telegrammen überfluteten wir alle jene, von denen wir annahmen, sie könnten uns helfen, vor allem die großen amerikanischen Hilfsorganisationen. Wenn wir hörten, es sei eine Delegation des Roten Kreuzes oder der Unitarier oder der Quäker ins Land gekommen, dann schlug unser Herz höher, und auf vielen Wegen suchten wir mit ihr Verbindung aufzunehmen.
    In der Nähe unseres Lagers war ein Konzentrationslager für Italiener gewesen. Manche von ihnen hatten uns besucht, vor allem zu unsern Konzertabenden waren sie gern herübergekommen. Jetzt wurde dieses Lager aufgelöst, die Insassen mit ordentlichen Scheinen entlassen. Das steigerte unsere Nervosität. Wann, wann endlich wird man uns befreien?
    Die französischen Behörden vertrösteten uns. Unsere Entlassung sei eine Frage von Tagen, höchstens von Wochen. Dann hieß es, die Regierung habe beschlossen, zunächst alle diejenigen zu entlassen, die einen festen Wohnsitz hätten und sich selbst ernähren könnten. Wieder einmal wurden Listen angelegt, und wir schrieben und telegraphierten herum, um Beweise zu erhalten, daß wir Vermögen hätten, regelmäßige Einkünfte, einen festen Wohnsitz.
    Es kam jetzt vor, daß der eine oder andere, Fabrikanten gewöhnlich oder Kaufleute, einen Urlaub von drei oder vier Tagen erhielt, um nach seinen Geschäften zu sehen. Einmal kam einer zurück voll freudiger Erregung. Er hatte ein Gespräch mit einem Minister gehabt. Der hatte ihm versichert, wir würden alle in vierzehn Tagen entlassen sein. Man glaubte und man glaubte nicht. Der Mann, der das Gespräch mit dem Minister gehabt hatte, schloß Wetten ab. Es war eine Mondnacht, und er wettete fünf zu eins, daß wir den nächsten, und zehn zu eins, daß wir den übernächsten Vollmond nicht mehr im Lager erleben würden. Er hat seine Wetten verloren.
    Eines Nachmittags hieß es, jetzt sei endgültige Order von der Regierung in Vichy eingetroffen. Im Lauf von vierzehn Tagen würden alle, morgen schon würden die Fremdenlegionäre entlassen werden. Die Meldung stammte aus der Schreibstube, sie trat mit aller Bestimmtheit auf.
    Die Legionäre glaubten. Sie packten, und am Abend, also am Vorabend ihrer Entlassung, veranstalteten sie eine große Feier. Sie soffen sich sternhagelvoll, sie lärmten noch mehr als sonst. Sie sangen ihre aus französischen Obszönitäten und französischem Patriotismus gemischten Lieder. Die Saarländer ihresteils glaubten, unmittelbar nach den Fremdenlegionären würden sie entlassen werden, so feierten denn auch sie. Sie hatten sich im Lager eine Art Hymne zurechtgedichtet und komponiert, ein Lied voll von Sentimentalität, Heimatliebe, Unflat. Die Legionäre und die Saarländer suchten sich an Inbrunst und Lautstärke des Gesanges zu übertreffen. Dann fingen sie an, zu krakeelen und sich zu schlagen, es wurde eine wüste Nacht.
    Entlassen wurde niemand, weder die Fremdenlegionäre noch die Saarländer.

    Wer einen längeren Spaziergang nicht scheute, der fand in einer Entfernung von etwa sieben Meilen in der Nähe einer angenehmen Badestelle ein ländliches Restaurant von bester französischer Tradition. Wenn man sich gar einen Tag zuvor ankündigte oder ankündigen ließ, dann konnte man sicher sein, dort ein mit Sorgfalt und Geschmack zusammengestelltes Mahl zu erhalten.
    Gegen Ende Juni wollten Herr Wolf und ich einmal wieder einen Ausflug dorthin machen. Ein Bruder und ein Neffe von ihm wollten mithalten, sowie der Schriftsteller R. und ein anderer gemeinsamer Freund. Geplant war, etwa um neun aufzubrechen, ohne Eile die zwei Stunden
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