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Der Teufel in Frankreich

Der Teufel in Frankreich

Titel: Der Teufel in Frankreich
Autoren: Lion Feuchtwanger
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Reiches zu entreißen. Von den Entführungen der Abgeordneten Severing und Breitscheid, von Theodor Wolff, dem Chefredakteur des Berliner Tageblattes, flüsterte man in den Boulevard-Cafés.* Wir glaubten uns für den Augenblick sicher, waren wir doch auf amerikanischem
    * Sie gingen in den Nazilagern elend zugrunde.
    Boden im Konsulat, nicht ahnend, daß die Privatvilla des Konsuls Hiram Bingham keineswegs dazugehörte. Ich wußte, daß seine Schweizer Haushälterin, die der Familie treu ergeben war, die Schwester eines Nazis, war. Das tschechische Dienstmädchen warnte mich davor. Ich habe den guten Willen der Haushälterin durch Geschenke zu kaufen versucht. Ausschlaggebend aber war, daß ich sie an vielen Abenden in der Küche vertrat, so daß sie ihren Bruder, der Koch in einem Hotel war, regelmäßig besuchen konnte. Derartige groteske Situationen waren nicht selten, und ich versuche, sie aus meinem Gedächtnis zurückzurufen. Ich mußte oft in die Stadt, um bei den verschiedenen Konsulaten Einreise- oder Durchreisevisa zu erhalten. Ich fuhr stets mit der Straßenbahn, ein zuckelndes Überbleibsel, aber am wenigsten auffallend. Einmal fand ich nur auf der Plattform Platz, als mich jemand von hinten auf die Schulter klopfte. Mein Herz blieb stehen, ich glaubte, ich würde verhaftet. Es war aber nur der Schaffner, der das Fahrgeld verlangte. Auf den Treppen des Konsulats – wenn man Glück hatte, war noch ein Platz zum Sitzen frei – traf man Bekannte und Freunde, die von allen Seiten Frankreichs in Marseille zusammentrafen. Der namhafte Heidelberger Statistiker Emil Gumbel war unter ihnen. Als Pazifist nach dem ersten Weltkrieg prägte er den Ausdruck: »auf dem Felde der Unehre gefallen«. Er wurde dafür von den Studenten verprügelt und als Professor entlassen. Leo Lania traf ein, zusammen mit Leonhard Frank. Walter Mehring wurde in Marseille auf der Straße verhaftet, gekettet in Gesellschaft von Verbrechern von einem Lager ins andere geschleppt, bis er erschöpft und krank durch Lions und Binghams Intervention befreit werden konnte. Die einfallsreiche Hertha Pauli, seine Freundin, hat von da an die Rettungsaktion übernommen. Man wartete endlos in Hitze und Staub. Aber alles war vergessen, wenn man das rettende Dokument in den Händen hielt.
    Lion, den Bingham nur nach Sonnenuntergang für ein paar Schritte aus dem Haus ließ, war in den dritten Teil seines Josephus-Romans vertieft und vergaß Gegenwart und Umwelt. Oder ließ sich zumindest nichts anmerken. Nur Bingham war niedergeschlagen, oft von einer grenzenlosen Verzweiflung erfüllt über seine Machtlosigkeit. Es war ihm vom State Department verboten, die nötigen Visa den Menschen auszuhändigen, die das Konsulat belagerten.
    Ich selbst erinnere mich, als ich nach meiner Flucht aus dem Lager von Gurs in der glühenden Sonne lange Straßenzüge von Menschen antraf, Junge und Alte und sehr Alte, die mir sagten, so sei das jeden Tag. Um fünf Uhr werden alle nach Hause geschickt. Ich tat darauf etwas, das mich bis zum heutigen Tag bedrückt. Ich ging die endlosen Reihen entlang – die Wartenden sahen mich nur stumpf an – bis ich an der Tür des Konsulats einen Zettel abgab, auf dem mein Name stand. Bald darauf wurde ich eingelassen. Einer der Konsuln, der uns früher einmal in Sanary besuchte, hat mich nicht wiedererkannt, so abgerissen und verhungert sah ich aus. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Während der Internierung – was auch geschah – hatte ich nie meine Haltung verloren. Ich mußte den andern Mut machen; aber hier – das erste Mal wieder in Sicherheit –, ich dachte an Lion, und ich brach in Tränen aus.
    Die Amerikaner können keine Frau weinen sehen. Sie sagten: Es muß etwas geschehen. Und Miles Standish, der jüngere der beiden Konsuln, ging zur Mafia. Er ging in die berüchtigte Hafengegend, fand Kontakt. »Oh gern«, sagte man ihm. »Wollen Sie, daß wir Ihre Schwiegermutter umbringen – für Geld tun wir alles.« Nur mit den Nazis wollten sie sich nicht einlassen.
    Miles Standish sagte: »Wenn niemand etwas tut, tu ich es selber.« Und er erklärte, er wolle L. F. entführen. Er fragte mich nach den Details im Lager von San Ni cola bei Nîmes. Ich war ja selbst dort und konnte mit Hilfe eines russischen Taxichauffeurs, der mich als Schwarzhändlerin mitnahm, in Lions Lager einschleichen. Der erste, den ich dort traf, war der Maler Max Ernst, abgemagert zum Skelett, der mich zu Lion führte.
    Ich sagte zum Vizekonsul
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