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Der Tempel zu Jerusalem

Der Tempel zu Jerusalem

Titel: Der Tempel zu Jerusalem
Autoren: Christian Jacq
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die
Oberstadt ausmachten, gaben dieser unruhigen Welt keinen Anschein von Fröhlichkeit.
    Normalerweise
war Jerusalem lebendig und laut, doch jetzt lag es unter einem erstickenden
Mantel des Schweigens. Salomo stand auf einem von zwei Pferden gezogenen
Streitwagen und erwiderte den Gruß des wachhabenden Soldaten, der oberhalb des
Haupteingangs Posten bezogen hatte. An dieser Stelle maß die Festungsmauer die
dreifache Stärke. Entgegen dem Brauch ließen die Soldaten keine Schafherden
mehr in die Stadt, die zu den Gehöften in der Unterstadt wollten.
    Salomo war besorgt, feuerte
seine Pferde an und fuhr sogleich zum Palast seines Vaters hoch. Straßen und
Gassen lagen verlassen. Die Einwohner hatten die hölzernen Läden vor den
schmalen Öffnungen angebracht, durch die Licht in ihre Behausungen fiel. Die Neuigkeit
hatte sich rasch in allen Stadtteilen verbreitet und Verzweiflung gesät. Wenn
es David nicht mehr gab, kam eine schwierige Zeit auf das Volk zu, weil nämlich
die Ehrgeizigen um die Macht kämpfen würden. Es würde unter den blutigen
Auseinandersetzungen zu leiden haben. Schon jetzt überlegten Mütter, wie sie
ihre Kinder am besten versteckten. Viele Menschen hatten vor, aufs Land zu
fliehen, denn sie fürchteten sich vor den losgelassenen, wilden Horden, die
ihren Günstling mit gezogenem Schwert durchsetzen wollten.
    Der
Königspalast war ein Haus, das lediglich größer und massiver gebaut war als die
anderen. Seine dicken Mauern erhoben sich auf einem Fels, der das beste
Fundament überhaupt abgab. Weder Stürme noch Regen konnten der Residenz des
Herrschers etwas anhaben, die sich der Sohn reicher und prächtiger gewünscht
hätte. Doch in ganz Israel gab es keinen genialen Baumeister, der fähig gewesen
wäre, einen üppigen Palast zu erbauen, der es mit der Schönheit der Paläste
ägyptischer Pharaonen hätte aufnehmen können.
    David hatte sich nur einen
einzigen Luxus zugestanden: Mosaikböden in den Staatsgemächern und in den
Schlafgemächern ein herrliches Parkett aus Zedernholz. Die Armen mußten sich
mit gestampftem Lehm begnügen. Zur Buße für seine Sünden hätte es ihnen der
Herrscher gern nachgetan, doch seine Gemahlin Bathseba war dagegen gewesen.
    Der Ort
gefiel Salomo nicht. Er fand ihn eiskalt und unwirtlich. Während er noch
überlegte, ob er sich seinem Vater anvertrauen und ihn hoffentlich davon
überzeugen konnte, sich endlich ein Haus zu bauen, das seiner würdig war,
verdunkelte sich die Zukunft. War David denn nicht unsterblich, er, der mit
seinem Gesang Gottes Herz erfreut hatte?
    Salomo hatte
sich ein Leben ohne seinen Vater gar nicht vorstellen können. Für ihn war David
die verkörperte Oberhoheit. Dennoch gab er zu Kritik Anlaß. Es war ihm nicht
gelungen, Frieden zu schaffen und aus Israel ein geeintes und hinreichend
mächtiges Volk zu machen, das sich seine Feinde vom Leib hielt. David war so
von seinen früheren Sünden besessen, hatte sich so in sein Leid versenkt, daß
er mehr an sich als an sein Volk dachte. Doch was zählten alle Vorwürfe im
Hinblick auf Salomos Sohnesliebe. Er hätte sein Leben für David gegeben. Noch
nie hatte er einen Befehl des Königs hinterfragt, auch wenn er mit dem, was
dieser von ihm verlangte, nicht einverstanden war.
    Auf der
Schwelle der königlichen Gemächer wurde Salomo von Nathan, seinem Lehrer,
begrüßt. Mehr noch als David war Nathan das geistige Vorbild des jungen Mannes
gewesen. Er hielt seinen Schüler für einen von Gott Geliebten, dem das Siegel
der Weisheit aufgedrückt war, und so hatte er ihm fast seine ganze Zeit
gewidmet, hatte ihm die Bedeutung der heiligen Texte vermittelt und ihn in die
Ausübung der Geheimwissenschaften eingeführt.
    Salomo lernte schnell. Je
mehr er entdeckte, desto mehr wollte er entdecken. Er interessierte sich nicht
für ein Leben in Leichtfertigkeit. Für ihn gab es nichts Schöneres, als bei
seinem Lehrer zu lernen.
    Nathan, ein
Greis von hohem Wuchs und mit weißem Bart, trug ein langes, weißes Gewand mit
viereckigem Ausschnitt. Schmuck hatte er keinen angelegt, auch keinerlei
Abzeichen seiner hohen Stellung bei Hofe. Er war stets ausgeglichen, und in der
Regel verriet sein Gesicht keinerlei Gefühle.
    Dieses Mal
jedoch wies es Spuren von Müdigkeit auf. Er schenkte seinem Schüler ein
angedeutetes Lächeln, doch dann wurde seine Miene aufgrund seines Wissens
wieder ernst und besorgt.
    Salomo
ergriff ihn am Arm.
    «Mein Vater…
wie geht es ihm?»
    «Es geht ihm
schlechter. Deshalb
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