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Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)

Titel: Der taubenblaue Drache / eBook (German Edition)
Autoren: Kurt Vonnegut
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lesen Sie es vorsichtshalber noch einmal.
    Ein kleiner Junge, der im Indiana der Depressionszeit heranwächst, beschließt, daß er Schriftsteller werden will, berühmter Schriftsteller, und genau das
passiert. Wie standen die Chancen? Er hat viel Spaghetti an die Wand geschmissen und ein gutes Gespür dafür entwickelt, was hängen bleibt.
    Als ich sechzehn war, konnte er keine Englischdozentur am Cape Cod Community College bekommen. Meine Mutter behauptete, sie ginge in Buchhandlungen und bestelle unter falschem
Namen seine Bücher, damit die Bücher wenigstens in den Läden waren und vielleicht von jemandem gekauft wurden. Fünf Jahre später veröffentlichte er Schlachthof 5 und hatte einen mehrere Bücher umfassenden Vertrag über eine Million Dollar. Es dauerte, bis er sich daran gewöhnt hatte. Rückblickend
finden die meisten Menschen es das Natürlichste von der Welt, daß Kurt ein erfolgreicher, ja, berühmter Schriftsteller war. Für mich sieht es aus wie etwas, was ganz leicht
auch nicht hätte passieren können.
    Er hat oft gesagt, daß er Schriftsteller werden mußte, weil er in allem anderen nicht gut war. Er war kein guter Angestellter. Mitte der fünfziger Jahre war er kurz bei Sports Illustrated angestellt. Er erschien zur Arbeit und wurde gebeten, einen kurzen Text über ein Rennpferd zu schreiben, das über einen Zaun gesprungen
war und versucht hatte wegzulaufen. Kurt starrte den ganzen Vormittag auf das leere Blatt Papier und tippte dann: »Das Pferd sprang über den Scheiß-Zaun.« Danach ging er weg
und war wieder selbständig.
    Ich kenne keinen Menschen, der sich weniger für Essen interessiert hätte. Das Kettenrauchen hatte etwas damit zu tun. Als er sich über sein langes Leben beklagte, sagte ich ihm,
Gott sei neugierig, wie viele Zigaretten ein menschliches Wesen rauchen kann, und Er frage Sich einfach, was als nächstes aus Kurts Munde kommen würde. Man konnte ihn nicht richtig ernst
nehmen, wenn er sagte, er sei ausgelaugt und habe nichts mehr zu sagen, weil er damit bereits mit Mitte vierzig angefangen hatte und mit Mitte achtzig immer noch die Leute überraschte und gute
Sachen ablieferte.
    Das Radikalste und Dreisteste ist, wenn man glaubt, es habe einen Sinn, heftig zu arbeiten und heftig zu denken und heftig zu lesen und heftig zu schreiben und sich nützlich zu machen.
    Er war ein Schriftsteller, der an den Zauber des Arbeitsprozesses glaubte –, daran, was er für ihn tat, und daran, was er für Leser tun konnte. Die Zeit und die
Aufmerksamkeit des Lesers waren ihm heilig. Er verband sich auf der Gekröse-Ebene mit den Menschen, weil ihm klar war, daß Inhalte nicht die ganze Wahrheit darstellten. Kurt war und ist
wie eine Einstiegsdroge oder ein Schuhlöffel. Sobald der Leser über die Schwelle ist, werden auch andere Schriftsteller zugänglich.
    »Liest mich noch irgend jemand, der die Schule schon hinter sich hat?«
    Er lehrte, wie Geschichten erzählt werden, und lehrte Leser das Lesen. Seine Schriften werden das noch lange tun. Er war und ist subversiv, aber nicht so, wie die Leute
glaubten. Er war der zahmste wilde Hund, den ich kenne. Keine Drogen. Keine schnellen Autos.
    Er versuchte immer, auf seiten der Engel zu sein. Er glaubte nicht, daß der Irak-Krieg ausbrechen würde –, bis er ausbrach. Das hat ihm das Herz gebrochen, dabei war ihm
der Irak herzlich wurscht, nein, weil er Amerika liebte und glaubte, daß das Land und das Volk von Lincoln und Twain einen Weg finden würden, recht zu haben. Er glaubte, wie seine
eingewanderten Vorfahren, daß Amerika ein Leuchtfeuer und ein Paradies sein könnte.
    Er mußte immer daran denken, daß all das Geld, das wir dafür ausgaben, daß in weiter Ferne Sachen in die Luft gesprengt und Menschen umgebracht wurden, damit die Menschen
uns weltweit hassen und fürchten, besser für Bildung und Bücherhallen ausgegeben worden wäre. Es ist schwer vorstellbar, daß die Geschichte ihm nicht recht gibt, wenn sie
das nicht sowieso bereits getan hat.
    Lesen und Schreiben sind als solche bereits subversive, umstürzlerische Akte. Sie stürzen die Ansicht um, alles müsse so sein, wie es ist, man sei allein,
niemand habe je das empfunden, was man selbst empfunden habe. Was den Leuten aufgeht, wenn sie Kurt lesen, ist, daß alles viel zufälliger ist, als sie gedacht haben. Die Welt ist ein
kleines bißchen anders, nur weil sie ein gottverdammtes Buch lesen. Stellen Sie sich das mal vor.
    Es ist allgemein bekannt,
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