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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
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ich beim Mittagsmahl saßen, meine Zelle betrat, endlos lang in seiner schwarzen Soutane und die trotz seiner grauen Schläfen noch immer jettschwarzen Brauen diabolischer gesteilt denn je. Was mich verwunderte, denn für mein Gefühl war er mit seinem geistlichen Stand nie so einig gewesen wie neuerdings, auch hatte er sich ja enthalten, seinen Akoluthen mitzubringen nach Spanien, ichdenke, aus Furcht vor der Inquisition. Ich lud ihn sogleich ein, mit uns zu speisen, hätte das für zwei bestimmte Mahl doch glatt für zehn ausgereicht. Er sagte aber, er habe schon gegessen, zog eine kleine Pfeife aus der Tasche und fragte, ob er rauchen dürfe, eine Gewohnheit, die ich weder vor noch nach seinem Aufenthalt im Escorial von ihm kannte und die ihm, wette ich, seine Jeannette ersetzen sollte.
    »Mi fili«
, sagte er, »endlich ist es geschehen: Fray Diego de Yepes hat Felipe mitgeteilt, daß sein Ende nahe sei.«
    »Und wie hat er es aufgenommen?«
    »Als Felipe es hörte, sagte er zu seinem Beichtiger: ›Mein Vater, Ihr steht hier an Stelle Gottes. Vor ihm gebe ich kund, daß ich alles tun werde, was Ihr mich für mein Seelenheil zu tun heißt. Wenn ich also etwas versäume, so fällt es auf Euer Gewissen …‹«
    »Mit anderen Worten«, unterbrach ihn La Surie: »›Wenn ich verdammt werde, seid Ihr schuld.‹ Das ist doch unglaublich!«
    »Immerhin«, sagte ich, »ist es papistischer Brauch, seine Missetaten auf dem Buckel anderer zu büßen.«
    »Mich dünkt«, sagte Fogacer, »hier liegt Heringsgeruch in der Luft. Sollte er andauern, meine Herren, müßte ich Euch verlassen, damit er mein Gewand nicht verpeste.«
    »Wir ertragen ja auch Euren Tabaksqualm«, sagte La Surie.
    »Die eigentlichen Wunden sind seelische«, sagte Fogacer, indem er aufstieß. »Man ißt hier zuviel«, fuhr er fort und rieb sich den Magen.
    »Y despuès, qué pasò?«
1 fragte ich.
    »Felipe hat gebeichtet.«
    »Kein Wunder!«
    »Aber die Länge der Beichte!« sagte Fogacer. »Sie hat drei Tage gedauert.«
    »Mein Gott! Drei Tage?« sagte La Surie, »das ist lang, selbst für ein königliches Gewissen!«
    »Der Mann nimmt es genau«, versetzte Fogacer. »Er muß in einem Winkel seines Gehirns eine Liste seiner Verbrechen geführt haben, und die wollte er samt und sonders vor Fray Diego abarbeiten, ohne ein einziges auszulassen, könnte doch gerade die eine Auslassung ihm die Hölle einbringen.«
    »Y despuès?«
1
    »Nachdem er seine Beichte abgelegt hatte, ließ er sich aus einem Schrein das Kruzifix geben, das Karl V. in Händen hielt, als er starb, und sagte, er wolle es auch in den seinen halten, wenn seine Stunde gekommen sei. Dann befahl er den Mönchen, welche die Schlüssel vom
Panteón de los Reyes
2 verwahren …«
    »Was?« rief La Surie, »die Särge haben Schlüssel?«
    »Allerdings! Und Felipe befahl besagten Mönchen, den Sarg seines Vaters zu öffnen und nachzusehen, wie der ins Leichentuch gehüllt sei, er wolle genauso eingehüllt werden.«
    »Makabre Pingeligkeit«, meinte La Surie.
    »Er kann nicht anders«, versetzte Fogacer. »Dieser Habsburger war sein Leben lang seinem Vater gehorsam und will nicht einen Deut abweichen von dessen Spur. Ebenso gewissenhaft, wie er sich bemüht hat, das Reich Karls V. und die katholische Kirche zu bewahren.«
    »Aber was ist das für eine Kirche, beim Ochsenhorn!« sagte La Surie. »Nichts wie Reliquien, Formalien, Gebete auf Befehl!«
    »Chevalier«, sagte Fogacer mit einem Ernst, der nicht vorgetäuscht schien, »bedenkt bitte, daß das Christentum nur überleben konnte, indem es politisch wurde. Und als es politisch wurde, mußte es …«
    »Sich korrumpieren?«
    »Es mußte sich wandeln. Aus der reinen und klaren Quelle, die es ursprünglich war, ist es zum großen Strom geworden.«
    »In dem vielerlei mitschwimmt«, bemerkte trocken La Surie, »Mißbräuche, Aberglauben, zweifelhafte Praktiken …«
    Hier schüttelte Fogacer mehrmals den Kopf.
    »Wie will man entscheiden«, sagte er dann leise, »wer am Ende mehr gewinnt: die Hugenotten, die sie abgeschafft haben, oder die Katholiken, die sie bewahren wollen?«
    »Nun«, sagte ich, »in Rom hat mich der Papismus nicht so abgestoßen. Sicherlich traf ich auf eine eher zeremoniöse denn glühende Religion. Doch der Papst war ein zugänglicher Mann. Aber hier, gerechter Himmel, sieht man doch nichts wie Muckerei!«
    »Ein Beweis dafür«, sagte Fogacer, »daß es auch in der Religion auf die Menschen ankommt. Aber was Felipe,
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