Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Autoren: Robert Merle
Vom Netzwerk:
ist.«
    »Sire«, sagte ich, »es wäre unendlich schmerzlich, wenn die Grafschaft zum
casus belli
würde zwischen meinem Herrn Heinrich IV., König von Frankreich und Navarra (ich ließ es mir selbstverständlich nicht nehmen, ihn samt all seinen Titeln mit einer eines Spaniers würdigen
bravura
aufzuführen), und Seiner Hoheit Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen (des Gleichgewichts halber mußte ich dasselbe dem kleinen Geier gewähren), obwohl mein Herr dem Herzog anbietet, ihm die Markgrafschaft im Tausch gegen Gebiete an ihrer beider Grenze zu überlassen.«
    »Marqués«, sagte Felipe, die Augen schließend, »wir sprechen noch darüber, wenn Gott mir die Zeit vergönnt.«
    Felipes Antwort versetzte mich in große Verlegenheit, deutete er doch eine Ablehnung der französischen Vorschläge an, ohne sie aber gleich zu verwerfen, getreu hierin der vorsichtigen und hinhaltenden Manie, die ihm in seiner europäischen Politik so viele Rückschläge bereitet hatte. Und jetzt war ich das Opfer. Denn da Felipe gesagt hatte: »Wir sprechen noch darüber«, konnte ich ihn nicht verlassen und nach Frankreich zurückkehren, so sicher ich mir auch war, daß er seine Meinung nicht ändern werde noch daß er die Kraft aufbrächte, mich ein zweites Mal zu empfangen. So sah ich mich denn verurteilt, nutzlos im Escorial zu verbleiben – diesem an sich schon düsteren Ort –, bis seine Agonie das Ende erreichen würde.
    Den Hof in Madrid lernte ich nicht kennen und weiß also nicht, wie vergnüglich er ist, aber den im Escorial habe ich erlebt und kann versichern, er war sterbenslangweilig, mit erdrückenden Frömmigkeitspflichten, die durch keine Spiele, keinen Sport aufgelockert wurden. Zudem zwängte das Korsett der Etikette die Geister in einem Maße ein, das jegliche Unterhaltung schwierig machte, zumal die Damen nicht die gleiche Rolle spielten wie in Frankreich, wo sie im Prinzip zwar untergeordnet, in Wahrheit aber die Königinnen sind. Hier dagegen schienen sie nur zum Anschauen dazusein, wundervoll geschmückt, gewiß, aber das untere Gesicht blieb verborgen, nicht wie bei den Maurinnen unterm Schleier, sondern hinter ihren Fächern, die nur ihre Augen sehen lassen, herrliche, sehr beredte Augen. Die meinen gingen oft auf die Suche in derHoffnung, Doña Clara zu erspähen. Es gelang mir nicht, woraus ich schließe, daß man eine Frau nicht, wie wir glauben, am Blick erkennt, sondern am Mund.
    Den Edelleuten, die wie ich die Jagd nicht lieben (außer auf meinem Landgut, um Schädlinge vom Hühnerhof und von den Kulturen fernzuhalten), blieb nichts, als über die Ebene zu galoppieren, zu fechten und Mahlzeit zu halten. Und was letztere anging, Leser, so veranstalteten die Mönche halbtäglich pantagruelische Schlemmereien, mit Melonen, gebratenen Kapaunen, Leber am Spieß, Geflügelragout, Ochsenzunge, geräuchertem Schinken, von den Fruchtgelees und Konfitüren ganz zu schweigen, die sie in zahllosen Varianten in ihren Speisekammern hatten. Für Geistliche mag das angehen, die ja sonst kein Vergnügen haben, doch wie mein Herr Henri Quatre könnte ich rasen, wenn ich sehe, daß Menschen sich selbst zu Fettleibigkeit oder Schlagfluß verdammen, indem sie Fleisch in Batzen verschlingen. Ich weiß wohl, daß manche Ärzte die Podagra für erblich halten, und hörte im Escorial, daß Felipe II. die Gicht nur habe, weil schon sein Vater, Karl V., daran litt. Doch das bestreite ich und meine, Felipe hätte diesem Fluch durchaus entrinnen können, hätte er bei frugaler Kost gelebt, bei »mönchi scher « will ich besser nicht sagen nach dem, was ich hier sah.
    Obwohl ich stets nur ein Zehntel des üblichen aß, machten diese gewaltigen Mähler mich träge, schwer und melancholisch. Und ich wüßte nicht anzugeben, wozu sie mir anders getaugt hätten, als zur Vesper auf meinem Sitz in der Basilika dahinzudösen, wenn ich, vom Kerzenlicht auf dem Altar gebannt, vom Weihrauch betäubt und benommen vom Singsang der Choristen, mich jedes Gedankens und Willens gnädig entleert fühlte. Und ich glaube sicher, daß das Chorgestühl in den Kathedralen nur deshalb von hohen Rücken- und Seitenlehnen umschlossen ist, damit die Domherren wenigstens auf drei Seiten gehalten werden, wenn der Schlaf sie übermannt.
    Was Doña Clara betraf, deren Name bei meiner Ankunft ein ungestilltes Verlangen in mir geweckt hatte, so hatte ich dieses gleich wieder im Keim erstickt, indem ich mir sagte, wenn die Dame mich in Rom nicht besucht hatte, wo es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher