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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst
Autoren: Lisa Gardner
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schimmern.
    Ihre Mutter stöhnte und kam langsam zur Besinnung.
    Das kleine Mädchen dachte an Wiegenlieder und Streichhölzer. Es erinnerte sich an zarte Umarmungen und Nächte voller Hunger, an die ältere Schwester, die es von ganzem Herzen geliebt hatte. Das kleine Mädchen hob die dünnen Arme mit der schirmlosen Lampe hoch über den Kopf, stellte sich vor die Mutter und holte aus zu einem letzten Schlag.

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    1. Kapitel
    Mein Name ist Charlene Rosalind Carter Grant.
    Ich wohne in Boston, arbeite in Boston und werde aller Wahrscheinlichkeit nach in vier Tagen in dieser Stadt sterben.
    Ich bin achtundzwanzig Jahre alt.
    Zum Sterben eigentlich viel zu jung.

    Es fing an vor zwei Jahren mit dem Mord an Randi Menke, meiner besten Freundin aus Providence. Sie wurde in ihrem Wohnzimmer erdrosselt. Hinweise auf Kampfhandlungen oder Spuren gewaltsamen Eindringens gab es nicht. Die Polizei von Rhode Island hatte für eine Weile ihren Ex in Verdacht, von dem es hieß, dass er zu gewalttätigen Übergriffen neigte. Darüber aber hatte Randi nie ein Wort verloren, weder mir noch unserer gemeinsamen Freundin Jackie gegenüber. Jackie und ich hatten uns damit zu trösten versucht, als wir heulend auf Randis Beerdigung standen. Wir hatten keine Ahnung gehabt. Hätten wir etwas gewusst, hätten wir auch etwas getan. Irgendetwas.
    Das redeten wir uns ein.
    Schnellvorlauf um ein Jahr. 21. Januar. Der Todestag. Ich bin zu Hause bei Tante Nancy in den Bergen im Norden von New Hampshire. Jackie sitzt wieder auf ihrem Chefsessel bei Coca-Cola in Atlanta. Sie will an Randis Ermordung nicht erinnert werden. Zu morbide, sagt sie. Später, im Sommer, wollen wir uns treffen und Randis Geburtstag feiern. Wir wollen den Mount Washington mit einer Flasche Single Malt im Rucksack besteigen, auf unsere Freundin anstoßen, ein paar Tränen vergießen und die Nacht in einer AMC-Hütte am Lake of the Clouds verbringen.
    Trotzdem rufe ich Jackie am Einundzwanzigsten an. Daran führt kein Weg vorbei. Aber sie antwortet nicht, weder zu Hause noch im Büro oder über ihr Mobiltelefon.
    Als sie am Morgen nicht an ihrem Arbeitsplatz erscheint, gibt die Polizei meinen Bitten nach und schaut bei ihr vorbei.
    Keine Hinweise auf Kampfhandlungen, wird es später im Polizeibericht heißen. Keine Spuren gewaltsamen Eindringens. Nur eine weibliche Person, am 21. Januar in ihrem Haus stranguliert.

    Zwei beste Freundinnen, beides Mordopfer, getötet am selben Tag im Abstand eines Jahres, rund tausend Meilen voneinander entfernt.
    Die Polizei vor Ort ermittelte. Sogar das FBI schaltete sich kurz ein. Sie konnten keine Verbindung zwischen den beiden Mordfällen herstellen, ja, sie konnten überhaupt nichts finden, was zur Aufklärung beigetragen hätte.
    Pech, sagte mir einer der ermittelnden Beamten. Einfach Pech.
    Heute ist der 17. Januar des zweiten Jahres.
    Welches Pech erwartet mich wohl am Einundzwanzigsten? Was würden Sie an meiner Stelle tun?

    Ich lernte Randi und Jackie im Alter von acht Jahren kennen. Nach jenem letzten Vorfall mit meiner Mutter lebte ich bei meiner Tante Nancy im Hinterland von New Hampshire. Sie hatte mich aus einem Krankenhaus im Norden von New York geholt. Zwei Verwandte, zwei Fremde, die sich zum ersten Mal begegneten. Tante Nancy schaute mir ins Gesicht und fing an zu weinen.
    «Ich wusste von nichts», sagte sie mir an diesem ersten Tag. «Glaub mir, Kind, ich hatte keine Ahnung. Sonst hätte ich dich schon vor Jahren zu mir genommen.»
    Ich weinte nicht. Sah keinen Grund für Tränen und war mir auch nicht im Klaren darüber, ob ich ihr glauben konnte. Wenn ich mit dieser Frau leben sollte, würde ich eben mit dieser Frau leben. Wo sonst hätte ich unterkommen können?
    Tante Nancy führte ein Bed & Breakfast in einer kleinen Ortschaft im Mount Washington Valley, wo reiche Bostoner und privilegierte New Yorker im Winter Ski fuhren, im Sommer wandern gingen und im Herbst die bunten Wälder bewunderten. Sie hatte eine Aushilfskraft, die stundenweise einsprang, machte aber fast alles allein: Gäste in Empfang nehmen, Zimmer putzen, Tee aufsetzen, Frühstück vorbereiten, Auskünfte erteilen und all die vielen anderen kleinen Dienstleistungen, die mit der Gastwirtschaft einhergingen. Als ich zu ihr zog, wischte ich Staub und saugte Teppiche. Ich verbrachte Stunden damit und liebte den Geruch der Reinigungsmittel. Ich liebte es, frisch poliertes Holz zu berühren. Es gefiel mir, den Boden zu schrubben,
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