Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
sie sich dem alten Detective zu und nickte.
    »Ich war so jung und hatte solche Angst. Und natürlich nicht nur ich. Es war eine so furchtbare Zeit. Immer im Untergrund und immer mit der Furcht, die nächsten Minuten nicht zu überleben. Es ist entsetzlich, Mr.Winter, wenn man jung ist und der Tod einen auf Schritt und Tritt verfolgt …«
    Simon Winter nickte. In der Hoffnung, dass sie früher oder später von selbst wieder in die Gegenwart zurückfand, musste er sie reden lassen. »Bitte fahren Sie fort.«
    »Vor einem Jahr«, erzählte Sophie Millstein bedächtig, »beging ein Mann namens Herman Stein, der in Surfside wohnte, Selbstmord.« Wieder klangen ihre Worte monoton. »Das zumindest erfuhren wir von der Polizei, denn er hatte sich mit einer Pistole erschossen …«
    So wie um ein Haar ich, dachte Winter. »Und?«
    »Nach seinem Tod, nachdem die Polizei da gewesen war, nachdem sie ihn ins Bestattungsinstitut gebracht und nachdem seine Angehörigen Schiwa gesessen hatten, da traf, kurz vor der Beerdigung, bei Rabbi Rubinstein ein Brief ein. Kennen Sie den Rabbi, Mr.Winter?«
    »Nein.«
    »Er ist alt, wie ich. Im Ruhestand. Und er bekam einen Brief von einem Toten, der ein paar Tage zuvor abgeschickt worden war. Und dieser Mr. Herman Stein, den ich nicht kannte … ich meine, wieso auch? Immerhin wohnte er in Surfside, also wie viele Häuserblocks von hier? Siebzig? Achtzig? Jedenfalls am anderen Ende der Welt. Diesem Rabbi also, den er nur flüchtig kennt, von dem er nur weiß, dass er auch aus Berlin stammt und – so unglaublich es ist – dass er das KZ überlebt hat, diesem Rabbi schreibt er einen Brief, und darin sagt Mr.Stein: Ich habe den Schattenmann gesehen. Und der Rabbi, der kennt den Namen natürlich, er findet mich und ein paar andere, Mrs.Kroner und Mr.Silver, auch ehemalige Berliner, mehr findet er nicht, schließlich werden wir immer älter, Mr.Winter, es sind nur noch so wenige von uns übrig, nachdem sowieso nur so wenige von uns überlebt haben … er bringt uns also zusammen, wir lesen den Brief, aber wer weiß schon, was wir machen sollen? Man kann ihn nicht der Polizei melden. Niemand kann uns helfen, und außerdem wissen wir ja selbst nicht, was wir von der Sache halten sollen. Wer kommt denn auf die Idee, dass er hier sein könnte, Mr.Winter? Ausgerechnet hier. Also gehen Monate ins Land. Ab und zu besuche ich den Rabbi, und wir sitzen alle zusammen und reden, allerdings nicht über diese Dinge, das vergessen die Leute lieber. Bis heute, weil ich ihn wie dieser arme Mr.Herman Stein aus Surfside, den ich nicht kannte und der jetzt tot ist, nun auch gesehen habe, und jetzt wird er mich auch umbringen.«
    Sophie Millsteins Wangen waren tränennass und die letzten Worte nur noch gehaucht.
    »Wo ist Leo?«, fragte die alte Frau. »Ich wünschte, Leo wäre da.«
    »Dieser Mann, dieser Mr. Herman Stein, hat Selbstmord begangen?«
    »Ja, das heißt, nein. Das sagt die Polizei, Mr.Winter. Aber jetzt, seit heute Abend, kann ich nicht mehr daran glauben.«
    »Und die anderen, der Rabbi …«
    »Die muss ich anrufen.«
    Sophie Millstein sah sich plötzlich wild im Zimmer um.
    »Mein Notizbuch. Mein Büchlein mit all meinen Nummern. Es ist in meiner Wohnung …«
    »Ich komme mit. Es wird schon nichts passieren.«
    Sophie Millstein nickte und trank den Rest von ihrem Eistee.
    »Könnte ich mich irren, Mr.Winter? Sie waren bei der Polizei. Es sind fünfzig Jahre her, und ich hab ihn damals nur diesen winzigen Moment gesehen, bevor sie die Tür zuschlugen. Fünfzig Jahre, und die Menschen verändern sich so stark. Könnte ich mich irren?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ich möchte mich täuschen. Ich bete, dass ich mich täusche.«
    Er wusste nicht, was er sagen sollte, und so schwieg er. Er dachte: Wahrscheinlich irrt sie sich. Andererseits war die Geschichte, die sie erzählt hatte, ziemlich verstörend, und er wusste nicht, was er von Mr. Herman Steins Selbstmord halten sollte. Wieso sollte sich ein alter Mann das Leben nehmen, nachdem er einen Brief aufgegeben hat? Vielleicht hat er sich einfach nur alt und nutzlos gefühlt, so wie ich. Vielleicht war er verrückt. Vielleicht auch krank. Vielleicht einfach nur lebensmüde. Es gab hundert Gründe; wenn der Kummer zu groß wird, vergießt man mehr als eine Träne. Er konnte es nicht sagen, doch plötzlich wollte er es wissen. Winter hatte auf einmal ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr für möglich gehalten hätte, weil es im Lauf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher