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Der Täter / Psychothriller

Der Täter / Psychothriller

Titel: Der Täter / Psychothriller
Autoren: John Katzenbach
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Morgenmantel lagen am Fuß des Bettes. Die Oberseite ihrer Kommode war sauber. Er entdeckte ein schwarzgerahmtes Bild von Leo Millstein und ein Familienfoto, auf dem ohne Zweifel Mrs.Millsteins Sohn und seine Familie zu sehen waren. Es handelte sich um eine Atelieraufnahme; alle trugen Schlips und Jackett beziehungsweise ihre besten Sonntagskleider. Außerdem fiel ihm ein Schmuckkästchen ins Auge, ein fein ziselierter Messingbehälter, auf den ein Kunsthandwerker einige Zeit verwendet haben musste. Ein Familienerbstück? Vermutlich.
    Winter ging zum Schrank und öffnete die Tür, hinter der sich kein Eindringling verbarg, sondern nur Leos gesammelte dunkelbraunen und marineblauen Anzüge, die sich wie ein Ei dem anderen ähnelten, und daneben ein beachtlicher Vorrat an geblümten Kleidern. Außerdem hing ein seidig brauner Nerzmantel in der Ecke, für den sich in Miami Beach zweifellos selten Anlässe boten, der aber, vermutete er, einen hohen Erinnerungswert besaß.
    Simon Winter drehte sich um und entschuldigte sich vor dem Bild von Leo Millstein. »Tut mir leid, wollte nicht aufdringlich sein, aber sie hat darum gebeten …« Zuletzt bückte er sich unter dem entschiedenen Protest eines arthritischen Knies und vergewisserte sich, dass niemand unter dem Bett lauerte. Ebenso stellte er fest, dass dort – anders als in seiner eigenen Wohnung – keine kleinen Staubballen lagen und auch keine uralten Zeitschriften gestapelt waren. Sophie Millstein hatte für ein Staubflöckchen oder einen Dreckfleck höchst wahrscheinlich dieselbe Verachtung übrig wie ein Feldwebel für einen ungepflegten Soldaten.
    Wieder rief er: »Alles in Ordnung, Mrs.Millstein …«, und ging anschließend in die Küche. Direkt gegenüber dem Ausguss befand sich eine Glasschiebetür, die zu einem kleinen gefliesten Sitzplatz führte.
    Diese Terrasse befand sich vielleicht zehn Meter von einem Zaun und einer schmalen Gasse entfernt, an der die Mülleimer aufgereiht standen. Er rüttelte an den Türen, um sich davon zu überzeugen, dass sie abgeschlossen waren, dann begab er sich ins Wohnzimmer.
    Dort kam ihm Sophie Millstein, immer noch den Kater auf dem Arm, entgegen. Sie hatte wieder Farbe im Gesicht, und aus ihren Worten war die Erleichterung herauszuhören.
    »Mr.Winter, ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich das zu schätzen weiß.«
    »Keine Ursache, Mrs.Millstein.«
    »Ich sollte dann mal die anderen anrufen.«
    »Ich denke, das wäre das Beste.«
    Als er die alte Frau in ihrem eigenen Wohnzimmer, inmitten ihrer Habseligkeiten und Fotos, mit dem Kater und den Rüschenkissen auf dem Sofa, in ihrer vertrauten Umgebung vor sich sah, vermutete er, dass sich ihre Angst bald legen würde.
    »Ich hab meine Telefonnummern immer hier zur Hand«, erklärte sie, während sie in einen großen Sessel sank. Auf einem Beistelltisch daneben befand sich ein gelbes Telefon. Sie öffnete die einzige Schublade des Möbels und zog ein billiges, in rotes Leder gebundenes Adressbuch heraus.
    Augenblicklich fühlte er sich wieder als Eindringling.
    »Soll ich besser gehen?«, fragte Simon Winter. »Während Sie Ihre Anrufe machen?«
    Sie schüttelte den Kopf und wählte die erste Nummer. Nach kurzem Schweigen verzog sie das Gesicht. »Es ist der Anrufbeantworter des Rabbi«, flüsterte sie. Eine Sekunde später dann sagte sie mit lauter, fester Stimme: »Rabbi? Sophie hier. Bitte rufen Sie mich so bald wie möglich zurück.«
    Diese Worte schienen ihr die Dringlichkeit der Lage wieder ins Bewusstsein zu rücken. Als sie auflegte, atmete sie schwer. Sie drehte sich um und sah zu Simon Winter hoch, der weiter unbehaglich neben ihr verharrte. »Wo steckt er nur? Es ist schon dunkel. Er müsste eigentlich zu Hause sein.«
    »Vielleicht ist er auf einen Happen rausgegangen.«
    »Ja, das muss es wohl sein.«
    »Oder ins Kino.«
    »Möglich. Oder zu einem Treffen in der Synagoge. Er nimmt immer noch manchmal an den Spendenaktionen teil.«
    »Sehen Sie!«
    All diese harmlosen Erklärungsmöglichkeiten schienen ihr die Sorge nicht nehmen zu können.
    »Wollen Sie jetzt noch die anderen anrufen?«, erkundigte sich Simon Winter.
    »Ich muss warten«, antwortete Sophie Millstein nervös. »Wir haben Dienstag, da geht Mr. Silver immer mit Mrs. Kroner zum Bridge-Club drüben im Seniorenzentrum. Das tut er schon, seit wir uns regelmäßig mit dem Rabbi treffen.«
    »Vielleicht wollen Sie noch jemanden anrufen?«
    »Wen denn?«
    »Ihren Sohn? Vielleicht würden Sie
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