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Der stumme Handlungsreisende

Der stumme Handlungsreisende

Titel: Der stumme Handlungsreisende
Autoren: Michael Lewin
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Rechtsanwalt gesprochen. Ich habe ihn abgefangen, als er das Haus
     verließ.«
    »Und?«
    »Ich verstehe nicht,
     warum John seine Sachen von diesem Mann regeln läßt«,
     sagte sie. »Das heißt, eigentlich verstehe ich es schon. Sie
     waren zusammen auf dem College. Sie waren Freunde. Ich muß sagen, daß
     ich ihn heute nicht besser leiden kann als damals.«
    »Damals? Auf dem
     College?«
    »O ja«, sagte sie
     und begriff, daß sie mir vielleicht ein paar Dinge erklären
     sollte. »John… Sie sollten wissen, daß mein Bruder viel
     jünger ist als ich, Mr. Samson. Unsere Eltern starben, als er noch
     ein Junge war, und ich habe immer sehr an Johnny gehangen.«
    »Darf ich fragen, wie
     alt Mr. Pighee jetzt ist?«
    »Neunundzwanzig.«
    Ich nickte.
    »Aber Mr. Thomas, mein
     Mann, und ich… wir trennten uns… gerade zu der Zeit, als
     Johnny zum College ging oder jedenfalls gegangen wäre, wenn da nicht
     Linn gewesen wäre… und ich hatte eine kleine Rücklage. Es
     schien mir eine gute Idee zu sein, für die beiden ein Heim zu
     schaffen. Ihm durchs Studium zu helfen, alles zu tun, was in meinen Kräften
     stand. Dabei ist es dann irgendwie geblieben. Und da bin ich nun.«
    Ich zögerte kurz und
     sagte schließlich: »Sie sagten, Sie hätten mit Johns
     Anwalt gesprochen.«
    »Walter Weston. Ja.«
    »Was hat er gesagt?«
    »Daß die Leute
     von Loftus nicht nur das täten, wozu sie rechtlich verpflichtet
     seien, sondern noch mehr, daß Linn über Johns Fortschritte
     umfassend informiert würde und daß sie davon überzeugt
     sei, für John würde so gut wie möglich gesorgt.«
    »Genauer gesagt, daß
     Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern sollen.«
    Sie nickte und sagte dann
     rauh: »Nicht, daß es Linn viel ausmachen würde, wenn John
     keine Fortschritte machte. Deshalb ist sie auch so leicht
     zufriedenzustellen.«
    »Sie mögen sich
     wohl nicht besonders, Sie und Ihre Schwägerin?«
    »Nicht im geringsten.
     Das ist kein Geheimnis.«
    »Der Rechtsanwalt
     Weston hält natürlich seine Verpflichtungen gegenüber Mrs.
     Pighee für wichtiger als seine Verpflichtungen Ihnen gegenüber?«
    »Zweifellos.«
    »Und Sie brauchen
     jemanden, der in Ihrem Interesse Nachforschungen anstellt.«
    »Ja«, sagte sie.
     »Ich möchte, daß Sie herausfinden, warum ich meinen
     eigenen… meinen einzigen Bruder nicht im Krankenhaus besuchen darf.
     Nach allem, was ich für ihn getan habe.«
    *
    Ich verließ Mrs.
     Thomas, nachdem wir die Einzelheiten meiner Bezahlung besprochen hatten.
     Sie hatte meine Anzeige im Star nachgelesen. Ich brachte es nicht übers
     Herz, mein Honorar um fünfundzwanzig Prozent heraufzusetzen, so daß
     es nach Abzug der zwanzig Prozent Rabatt wieder auf fünfzig Dollar
     pro Tag plus Spesen käme, so viel, wie sie ohne meinen Hinweis auf
     die Annonce bezahlt hätte.
    Mrs. Thomas war eine zähe
     Verhandlungspartnerin. Sie wollte wissen, ob der Rabatt auch für die
     Spesen galt. Das tat er nicht.
    Selbst mit fünfzig
     Dollar plus Spesen war ich äußerst günstig, um nicht zu
     sagen billig.
    Mit zwanzig Prozent
     Preisnachlaß war ich der reinste Anachronismus.
    Aber ganz ohne Aufträge
     würde ich schon bald zu einer ausgestorbenen Rasse gehören, also
     beklagte ich mich nicht.
    Kurz nach zehn war ich wieder
     zurück in Indianapolis; ich parkte auf dem Parkplatz um die Ecke, wo
     ich ein Abkommen mit dem Parkwächter hatte: Ich zahlte die
     monatlichen Nachtgebühren und parkte dort jederzeit, Tag und Nacht. Aber all das würde
     der Vergangenheit angehören, sobald die Bauunternehmer erst einmal
     ihren Abbruch begannen. Ich erklomm den hölzernen Hügel zu
     meinem Büro-Heim und trank eine Flasche Orangensaft, bevor ich den
     Fernseher anstellte. Dann sah ich mir einen komischen Film an und weinte
     mich in den Schlaf.

 
    2
    Ich wachte ungewöhnlich
     früh auf. Vor lauter Aufregung darüber, einen Job zu haben.
    Das Leben im Entropist
     Hospital schien jedoch um zehn nach neun, als ich dort ankam, bereits in
     vollem Gang zu sein. Das Entropist ist eins der größten
     Krankenhäuser der Stadt - weder das feinste noch das schäbigste.
     In der Stadt stand es in dem Ruf, eine medizinische Forschungseinrichtung
     zu sein - ob zu Recht oder zu Unrecht, wußte ich nicht.
    Am Empfangstisch fragte mich
     eine Krankenschwester mit Zahnpastalächeln: »Kann ich etwas für
     Sie tun, Sir?«
    »Können Sie mir
     sagen, wann die Besuchszeiten sind, bitte?«
    »Hat Ihre
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