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Der Streik

Der Streik

Titel: Der Streik
Autoren: Ayn Rand
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Sie wusste, dass der Leiter der Sektion Ohio nichts taugte, aber mit James Taggart befreundet war. Sie hatte ihn bisher nicht entlassen, weil sie keinen besseren Mann hatte, den sie an seine Stelle hätte setzen können. Es war merkwürdigerweise äußerst schwierig, gutes Personal zu finden. Aber jetzt musste sie ihn loswerden, dachte sie, und sie würde seinen Posten Owen Kellogg geben, dem jungen Ingenieur, der im Taggart Terminal in New York als einer der Assistenten des Leiters hervorragende Arbeit leistete. Im Grunde hatte er die Leitung des Bahnhofs inne. Sie hatte ihn schon seit geraumer Zeit im Blick. Stets hielt sie nach Anzeichen von Kompetenz Ausschau wie ein Diamantensucher in einer trostlosen Einöde. Kellogg war eigentlich noch zu jung, um einer eigenen Sektion vorzustehen. Sie hatte noch ein Jahr warten wollen, doch so viel Zeit blieb nun nicht mehr. Sie würde gleich nach ihrer Ankunft mit ihm sprechen müssen.
    Die nur undeutlich zu erkennende Landschaft draußen vor dem Fenster zog nun schneller vorüber und verschwamm zu einem grauen Strom. Trotz der nüchternen Überlegungen, die sie beschäftigten, bemerkte sie, dass sie doch genügend Zeit hatte, etwas zu empfinden, nämlich eine heftige und stimulierende Schaffenslust.
    *
    In dem Augenblick, als der Comet mit einem pfeifenden Luftzug in das Tunnelgewölbe des Taggart Terminals unterhalb von New York einfuhr, richtete Dagny Taggart sich auf. Jedes Mal, wenn ein Zug in den Untergrund eintauchte, hatte sie dieses Gefühl von Tatendrang, Hoffnung und insgeheimer Aufregung. Gegen den Alltag, der ihr wie eine unscharfe Fotografie mit schlecht reproduzierten Farben vorkam, war dieser Moment wie eine Skizze aus wenigen kräftigen Strichen, die alles klar, bedeutsam und lohnend erscheinen ließen.
    Sie beobachtete die vorbeiziehenden Tunnel: nackter Beton, ein Netz von Rohren und Kabeln, ein Geflecht von Schienen, die in schwarzen Löchern verschwanden, in denen grüne und rote Lichtpunkte als entfernte Farbkleckse zu sehen waren. Nichts weiter, nichts Überflüssiges verwässerte das Bild, sodass die Zweckmäßigkeit und der Erfindungsgeist, der sie geschaffen hatte, offen zutage lagen. Sie stellte sich das Taggart Building vor, das unmittelbar über ihr in den Himmel ragte, und sie dachte: Dies sind die Wurzeln des Gebäudes, hohle Wurzeln, die sich durch die Erde schlängeln und die Stadt versorgen.
    Als der Zug anhielt, als sie ausstieg und das Geräusch ihrer Absätze auf dem Beton des Bahnsteigs hörte, fühlte sie sich leichtfüßig, beschwingt, voller Tatkraft. Sie ging rasch, als könnte die Geschwindigkeit ihrer Schritte ausdrücken, was sie empfand. Erst nach einigen Augenblicken bemerkte sie, dass sie dabei eine Melodie pfiff – und dass es das Thema des fünften Konzerts von Halley war.
    Sie spürte, dass jemand sie beobachtete, und drehte sich um. Es war der junge Bremser, der sie aufmerksam anschaute.
    *
    Sie saß auf der Lehne des wuchtigen Sessels vor James Taggarts Schreibtisch. Unter dem aufgeschlagenen Mantel trug sie ein zerknittertes Kostüm. Eddie Willers saß am anderen Ende des Büros und machte hin und wieder Notizen. Er bekleidete das Amt des persönlichen Assistenten der Betriebsleitenden Vizepräsidentin, und seine wichtigste Aufgabe bestand darin, sie vor jeder Art von Zeitverschwendung zu schützen. Bei Besprechungen dieser Art bat sie ihn, anwesend zu sein, damit sie ihm nachträglich nichts würde erklären müssen. James Taggart saß mit eingezogenem Kopf an seinem Schreibtisch.
    „Die Rio-Norte-Trasse ist von vorn bis hinten schrottreif“, sagte sie. „Ihr Zustand ist wesentlich schlimmer, als ich angenommen hatte, aber wir werden sie wieder in Schuss bringen.“
    „Selbstverständlich“, sagte James Taggart.
    „Einige Schienen können weiterverwendet werden. Aber nicht viele, und sie werden nicht lange halten. Wir fangen in den Gebirgsregionen mit dem Legen neuer Schienen an, zuerst in Colorado. Die neuen Schienen kommen in zwei Monaten.“
    „Ach, hat Orren Boyle gesagt, er würde …“
    „Ich habe die Schienen bei Rearden Steel bestellt.“
    Das leise, erstickte Geräusch, das von Eddie Willers kam, war ein unterdrückter Beifallsruf.
    James Taggart antwortete nicht sofort. „Dagny, warum setzt du dich eigentlich nicht ordentlich auf den Sessel wie jeder normale Mensch?“, fragte er schließlich trotzig. So führt man keine Geschäftsbesprechung.“
    „Ich schon.“
    Sie wartete ab. Er wich ihrem Blick
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