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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer
Autoren: Henning Boëtius
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vernichten das ܜberflüssige. Auch ein ֖lbild ist angetrieben. Völlig unzerstört. Es zeigt einen Mann in einem Garten. Ich werde es behalten, obwohl ich damit wahrscheinlich einen guten Preis erzielen könnte. Und dann habe ich noch das hier gefunden. Es ist in deiner Sprache verfasst.«
    Er reichte mir ein kleines in Leder gebundenes Notizbuch. Es war noch feucht vom Wasser, in dem es gelegen hatte.
    Luigi drückte mir zum Abschied die Hand. »Lass dich mal wieder sehen, Zingaro, und denk daran: Wenn es dir schlecht geht oder du pleite bist, kannst du immer noch als Strandläufer arbeiten, so wie ich. Also kann nichts wirklich schief gehen.«
    Meine beiden Freunde brachten mich zur Busstation. Ich hatte nur einen Karton dabei, in dem Marconis Radio war. Ich hatte ihn aus Carlas Zimmer in Ugos Haus abgeholt. Wir gaben uns die Hand. Celli hatte diesmal besonders viele Schuppen auf seiner Brille. Aber er putzte sie nicht.
    »Merkwürdig, Sarazeno«, sagte er. »Dieses Meeresleuchten vorgestern, hast du es auch bemerkt? Normalerweise gibt es dieses winzigen Tierchen zu verdankende Phänomen nach einem Sturm. Diesmal fand es vorher statt. Was schließt du daraus? Ich will es dir sagen: Die Zeit ist eine Art Tellerrand. Im Teller aber liegt das Wesentliche, das Gericht, die Speise. Man kann den Rand in zwei Richtungen entlanggehen, die Speise bleibt immer die Gleiche. Nenn es Schicksal, nenn es Zufall, nenn es Chaos, nenn es Logik, es bleibt dabei, es gibt nur ein Leben, und es scheint so zu sein, dass einige es abwechselnd vorwärts und rückwärts führen, so wie du zum Beispiel.«
    Der Bus fuhr ab. Ich sah sie aus dem Rückfenster, beide winkten. Und jetzt nahm Celli auch seine Brille ab und putzte sie mit einem großen Taschentuch.
    »Ich habe ein Problem«, hörte ich mich sagen. »Mein Vater ist wieder einmal auf See. Als kleines Kind hab ich ihn oft so erlebt. Immer weit weg, immer auf See. Er hatte eine unglaubliche Fähigkeit, Schiffsuntergänge zu überstehen. Doch diesmal ist es anders. Er ging nicht als Letzter von Bord, sondern als Erster. Und das Meer, in dem er nun zu schwimmen versucht, ist schwarz und zäh wie Teer.«
 

 

Kapitel 40
    I ch habe mir ein Zimmer im €›Due Castelli€‹ genommen. Die Mauern sind meterdick, die Armaturen im Badezimmer vergoldet. Der Park hinter dem Hotel ist an Schönheit nicht zu übertreffen. Olivenbäume, riesige Oleander, Lorbeer, Palmen. Auf seiner höchsten Stelle erhebt sich ein Turm. ܜber seiner verschlossenen Tür befindet sich ein kleines Schild. €›Hier experimentierte Marconi mit Radiowellen im Jahre 1936€‹.
    Es ist heiß. Ich sitze am Fuße des Turmes. Ich habe einen Korb dabei mit einem halben, in Rosmarin gebratenen Huhn und einer kühlen, in ein feuchtes Handtuch gewickelten Flasche Weißwein. Ich entkorke sie und fülle mein Glas. Eine schwarze Katze quert den kleinen, steinigen Platz vor dem Turm. »Ich weiß nichts von Marconi«, flüstere ich, auch wenn dies inzwischen nicht mehr der Wahrheit entspricht.
    Ehe ich die Flasche entkorke, hole ich den Brief aus der Tasche, den ich in den Trümmern am Capo di Vente gefunden habe. Als ich zu lesen beginne, merke ich, dass ihn meine Mutter für mich geschrieben hat, an meiner Stelle. Es ist eine der vielen Inszenierungen ihres Lebens. Ich lese ihn mir laut vor: »21. Juni 1941. Lieber, lieber Pap. Kein Brief von Dir. Und morgen am Sonntag? Wird da einer kommen?
    Mutter wartet ja so! Hier hast Du Bilder, die Tante Annemie aufgenommen hat. Die einen sind noch vom Frühjahr, als ich Mutterli Blümchen gesucht habe. Da hab ich unterwegs eine alte Büchse gefunden und mit Stöcken tüchtig darauf herumgetrommelt. Dann siehst Du, wie ich ein Wurstbrot esse. Die Butter hängt an der Backe. Wir haben Gluthitze. Ich hab nichts an, nur einen großen Hut auf. Jetzt muss ich Blumen gießen. Tschüss, min Ol€™. Dein Sohn John Henning.«
    Die Katze ist inzwischen zurückgekehrt. Erst hat sie einen Buckel gemacht, als sei ihr irgendetwas nicht recht. Jetzt liegt sie in der Sonne und hat die Augen geschlossen. Sie strahlt reinstes Wohlbehagen aus.
    Im Korb liegt auch das kleine, in schwarzes Leder gebundene Buch, das einst meinem Vater gehörte. Es enthält viele magische Wörter, Ortsnamen auf einer mythischen Karte der Seefahrt. Ich lese sie mir noch einmal laut vor: Valparaiso, Pernambuco, Tumaco, Fernando de Noronha, Tristan da Cunha. Ich rieche am stockfleckigen Papier. Immer noch ist da der Geruch
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