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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer
Autoren: Henning Boëtius
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während die anderen noch die Ruinenreste absuchten. Plötzlich spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Es war Franco Celli. »Bist du traurig, Sarazeno, dass deine Vergangenheit dich verlassen hat? Ich könnte mir denken, dass Carla überlebt hat. So sensibel wie sie war, ist sie sicher vor dem Einsturz verschwunden. Sie hat den Instinkt eines Schafs. Und die spüren eine Katastrophe, ehe sie eintritt.«
    Luigi trat zu uns. »Wisst ihr, was ich glaube? Das war nicht der Sturm. Schließlich hat der Turm über Jahrhunderte ähnliche Unwetter problemlos überstanden. Ich glaube, Carla hat sich mit ihm in die Luft gesprengt. Das würde auch erklären, warum sie dich, Zingaro, bei diesem Wetter noch losgeschickt hat. Sie wollte nicht, dass du Opfer ihres Selbstmordes wirst.«
    »Aber warum sollte sie sich umbringen, Luigi?«, sagte ich. »Sie war doch gerade dabei, Karriere zu machen.«
    »Das nennst du Karriere? Sie sollte eine Kellnerin in einer Hafenkneipe spielen!«
    »Woher weißt du das?«
    »Der Einbeinige hat es mir heute Nacht erzählt. War deine Freundin nicht eine Verehrerin von Silvana Mangano? Vielleicht solltest du dir den Film noch einmal ansehen, um ihren Selbstmord zu begreifen.«
 

 

Kapitel 39
    V iele Boote waren unterwegs und suchten das Meer nach Trümmern ab und natürlich nach der Leiche einer Frau. Auch die Wasserschutzpolizei war da. Hubschrauber kreisten über der Küste.
    Ich ging zum Hafen. Celli war dabei, sein Boot von den Schaumbergen zu befreien, die der Sturm hinterlassen hatte.
    »Hast du schon Radio gehört?«, sagte er. »Dieser verdammte Nachbau ist leider nicht untergegangen. Sie haben sämtliche Attrappenteile über Bord geworfen. Das Schiff, das zum Vorschein kam, war seetüchtig genug, um den Sturm zu überstehen. Es liegt jetzt im Hafen von Neapel.«
    Wir fuhren hinaus aufs Meer. Ohne den Turm sah die Küste verlassen aus. Die Wellen gingen immer noch hoch, aber es war fast windstill. Nur vereinzelte Böen gab es noch als eine Art Hinterlassenschaft.
    Wir blieben draußen, bis es dunkel war. Es tat gut, von den Wellen durchgeschaukelt zu werden. Celli schaltete seinen großen Fangscheinwerfer ein. Ich sah Francos Gesicht im Schein der Kompassbeleuchtung. Er lächelte und sah dabei wie ein Satyr aus. »Du musst Carla verstehen«, sagte er. »Türme sind auch immer ein Symbol für Liebe. Liebe, wenn sie diesen Namen verdienen soll, ist eine Verknüpfung von Weite und Enge. Sie bietet Schutz und macht zugleich unfrei. Und zugleich macht sie keineswegs blind, das macht nur die Verliebtheit, sondern im Gegenteil äußerst weitsichtig. Sie öffnet die Augen für die Einzigartigkeit der Dinge und Situationen. Sie gleicht also einem Turm, von dem man weit ins Land hinein sehen kann, manchmal sogar ins Land der Vergangenheit. Liebe und Erinnerung hängen eng zusammen. «
    »Das hat Carla auch gesagt. Ich glaube übrigens, dass sie panische Angst vor allzu engen Bindungen hatte.«
    »Das verstehe ich gut. Liebe macht nicht frei. Frei macht nur ihr Verlust. Davon weißt du nach drei gescheiterten Ehen selbst ein Lied zu singen. Carla hatte wahrscheinlich Angst vor der Enge eurer Beziehung, Sarazeno. Es ist möglich, dass sie zum erstenmal richtig geliebt hat. Sie hat sich befreit. Das musst du einfach akzeptieren. Was willst du jetzt machen? Du willst doch sicher nicht hier bleiben.«
    »Ich habe den Auftrag angenommen, ein Drehbuch zu schreiben. ܜber Marconis Leben.«
    »Ich weiß einen guten Schreibort für dich. Nördlich von hier auf einer Halbinsel. Auch dort gibt es übrigens einen Sarazenenturm. Ein Luxushotel mit Namen €›Due Castelli€‹. Du hast doch Geld genug?«
    »Ja«, sagte ich. »Mehr als genug.«
    Plötzlich sahen wir im Lichtkegel des Scheinwerfers etwas Längliches im Wasser schwimmen. Es sah aus wie ein Mensch. Die Wellen gingen darüber hin, brachen sich, zogen das Ding hinab, gaben es wieder frei.
    »Carla«, rief ich. »Da ist sie!«
    Ich deutete in die Richtung des Schemens, und Franco Celli schob den Gashebel hoch. Als wir längsseits waren, erkannte ich, was es war. Die Standuhr. Wir zogen das Gehäuse mit Hilfe des Piekhakens ins Boot. Teile des Werkes, Zahnräder, die Bleigewichte polterten darin hin und her. Auch das Pendel war noch da und das gemalte Zifferblatt.
 
    Ehe ich fuhr, traf ich mich noch einmal mit Luigi. Er hatte viel am Strand gefunden und rieb sich die Hände: »Stürme haben schon ihr Gutes«, sagte er. »Sie räumen auf und
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