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Der Strandlaeufer

Der Strandlaeufer

Titel: Der Strandlaeufer
Autoren: Henning Boëtius
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kleiner Sohn. Bald wirst du ganz bei mir sein.€‹«
 
    Am selben Abend traf ich mich mit meinem Verleger. Diesmal war er schon vor mir da. Er trug eine freundlichbesorgte Miene zur Schau. Nach einigem Smalltalk über das Wetter und nachdem wir bestellt hatten, Rehbraten und Rotwein, kam er zur Sache. »Ich bin der Letzte, der einen Autor zur Arbeit drängeln will, mir sind auch die Daten im Vertrag über den Ablieferungstermin eines Manuskripts nicht besonders wichtig. Doch in diesem Fall habe ich den begründeten Verdacht, dass du mit unserem Projekt gescheitert bist. Du schickst nichts, du kommst nicht voran, wie ich annehme, du hast vielleicht sogar die Lust am Thema verloren. Sag mir ehrlich, wie es aussieht.«
    »Mein Vater ist an Krebs gestorben. Ich komme gerade von der Beerdigung. Ich selber war krank. Verdacht auf Krebs, Gott sei Dank ist er inzwischen ausgeräumt. Der Tod meines Vaters ändert mein Leben grundsätzlich. Er bedeutet für mich nicht nur Schmerz, Trauer, Verlust. Er bedeutet auch eine neue Freiheit, von der ich nicht weiß, wie ich mit ihr umgehen soll. Ich bin jetzt vaterlos, elternlos, eine Waise. Grund genug aufzuatmen, doch zugleich ist die Luft dünner geworden. Ich gleiche ein wenig einem Hürdenläufer, der jene spezielle Körperstreckung jahrzehntelang eingeübt hat, die man braucht, um ein Hindernis zu nehmen, und der sie jetzt nicht mehr loswird, obwohl man die Hürden weggeräumt hat. Ein lächerlicher Anblick: Auf einer geraden, flachen Strecke rennt jemand um sein Leben, und alle paar Meter reißt er die Beine hoch und stößt eines davon in Laufrichtung nach vorne! Andererseits bin ich froh, dass mein Vater und ich in den letzten Jahren unseren Krieg begraben haben. Es ist mir gelungen, die Kollision zwischen unseren Lebensschiffen in einer Art Rot-an-Grün-Manöver abzuschwächen. «
    Er hatte aufmerksam zugehört. Jetzt warf er eine Frage dazwischen: »Was ist das für ein Manöver?«
    »Ein Schiff muss einem entgegenkommenden Schiff nach Steuerbord ausweichen, so dass beide Schiffe beim Passieren sich jeweils die Backbordseite mit der roten Positionslampe zeigen. Nur wenn eine Kollision bereits unvermeidlich ist, darf man Ruder hart Backbord legen. Es kommt zu einer Situation Rot-an-Grün, denn im Moment des Zusammenstoßes zeigt die grüne Steuerbordseite zur Backbordseite des Entgegenkommers. Einziger Sinn dieses Manövers darf es sein, die Folgen der Kollision abzuschwächen. Mein Vater und ich waren uns zuletzt immer näher gekommen, so dass ein Zusammenstoß unvermeidbar geworden war, aber die Schäden hatten wir abmildern können. Es hat nur einen Toten gegeben und einen Verletzten.«
    »Lass mich dir mein herzliches Beileid ausdrücken. Eigentlich wollte ich dich dazu überreden, den Vertrag zu stornieren und einen Teil des Vorschusses zurückzuzahlen. Aber vielleicht solltest du deine neu gewonnene Freiheit nutzen und noch einmal in das Projekt einsteigen. Fang einfach noch einmal von vorne an. Mit frischen Kräften sozusagen und unbelastet von der Vergangenheit.«
    Es klang so nett, was er noch alles im Verlauf des Abends sagte. Ich durfte in einem der besten Hotels der Stadt übernachten. Zu später Stunde an der Bar war ich der Meinung, dass mein Verleger Recht hatte und dass ich nun endlich den Piratenroman würde schreiben können.
 

 

Kapitel 36
    A ls ich die Gorillabar betrat, war das Hallo noch größer als sonst. »Zingaro ist wieder da«, schrie Luigi. Franco Celli lächelte und winkte mich zu sich. »Es gibt Neuigkeiten, Sarazeno. Sie werden dir vielleicht nicht gefallen, aber ich erzähle sie dir trotzdem. Die Arbeiten am Film über Marconi sind immer noch nicht angelaufen. Aber Carla ist wieder da. Uns scheint sie nicht mehr zu kennen. Sie tritt jetzt auf wie eine Filmdiva, immer mit Sonnenbrille, auch bei Regen!«
    Ich tat so, als interessiere mich das nicht besonders, und begann, vom Sterben meines Vaters zu erzählen. Celli hörte sehr konzentriert zu. »Ich kenne das von meinem eigenen Vater. Er tat sich schwer mit dem Abgang. Er war kein guter Schauspieler. Ihm fiel das letzte Wort nicht ein, deshalb stolperte er immer wieder auf die Bühne, auch als der Vorhang schon zugegangen war. Er riss ihn auseinander, steckte den Kopf hindurch und brüllte: €›Scheiße!€‹ Das war tatsächlich sein letztes Wort.«
    Luigi sagte: »Du bist ein Strandläufer, vergiss das nicht. Strandläufer müssen immer mit dem Unwahrscheinlichen rechnen.«
    Am
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