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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco
Autoren: Jules Verne
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würden, um jenes geographische Problem lösen zu helfen.
    »Welches Interesse kann man nur daran haben? fragte der Sergeant Martial seinen Neffen als dieser ihn über das streitige Thema unterrichtet hatte. Ob ein Fluß nun so oder so heißt, immer bewegt sich sein Wasser doch nur dem natürlichen Abhang nach…
    – Meinst Du, lieber Onkel? erwiderte Jean. Wenn es aber keine derartigen Streitfragen gäbe, wozu brauchte man dann überhaupt Geographen, und wenn es keine Geographen gäbe…
    – So könnten wir keine Geographie lernen, fiel der Sergeant Martial ein. Jedenfalls werden wir die Gesellschaft dieser Streitköpfe bis nach San-Fernando genießen.«
    In der That mußte die Fahrt von Caïcara aus in einem der Flachboote des mittleren Orinoco fortgesetzt werden, deren Construction ihnen gestattet, über die zahlreichen Strudel des Stromes hinwegzukommen.
    Infolge des abscheulichen Wetters dieses Tages sah man gar nichts von der Insel Tigritta. Wie zur Entschuldigung konnten sich die Tischgäste, beim Frühstück wie beim Mittagsmahle, an vorzüglichen Fischen gütlich thun… an den Morocotes, die es hier in ungeheurer Menge giebt und die eingesalzen in großen Sendungen nach Ciudad-Bolivar und nach Caracas gehen.
    In den letzten Vormittagstunden kam der Dampfer westlich von der Mündung des Caura vorüber. Dieser Wasserlauf bildet einen der bedeutendsten Zuflüsse des rechten Ufers, strömt von Südwesten her durch die Gebiete der Panares, Inaos, Arebatos und der Taporitos und bewässert die an Naturschönheiten reichsten Thäler von Venezuela. Die dem Orinoco nahe gelegenen Dörfer sind von gesitteten Mestizen spanischen Ursprungs bevölkert. In den entfernteren siedeln nur wilde Indianer, Viehzüchter, die man Gomeros nennt, weil sie sich auch mit der Einsammlung arzneilich verwendeter Gummiarten beschäftigen.
    Jean hatte einen Theil seiner Zeit verwendet, den Bericht seines Landsmanns zu lesen, der bei seiner ersten Reise, 1885, den Orinoco verließ, um die Ilanos des Caura, wo die Stämme der Ariguas und der Quiriquiripas hausen, kennen zu lernen. Die Gefahren, die diesen damals bedroht hatten, waren für Jean, wenn er den Oberlauf des Flusses besuchte, gewiß noch dieselben, wenn nicht heute noch schlimmer. So sehr er aber die Energie und den Muth jenes kühnen Franzosen bewunderte, hoffte er doch nicht minder muthig und energisch zu sein.
    Freilich war jener ein Mann in den besten Jahren und er nur ein Jüngling – fast noch ein Kind; doch wenn ihm Gott nur Kraft genug verlieh, den Anstrengungen und Mühen einer solchen Reise zu trotzen, so würde er schon an sein Ziel zu gelangen wissen.
    Stromaufwärts von der Mündung des Caura hat der Orinoco immer noch eine erstaunliche Breite – fast von drei Kilometern. Seit drei Monaten schon hatten freilich die Regenzeit und die zahlreichen Nebenflüsse an beiden Ufern, die selbst stark gewachsen waren, zur Anschwellung desselben beigetragen.
    Trotzdem mußte der Kapitän des »Simon Bolivar« mit großer Vorsicht manövrieren, um nicht jenseits der Insel Tucuragua, etwa in gleicher Höhe mit dem Rio dieses Namens, auf Untiefen zu gerathen. Dennoch streifte der Dampfer dann und wann den Grund, was an Bord stets eine gewisse Unruhe erregte. Doch wenn sein Rumpf das auch ohne Schaden aushielt, da er wie Küstenfahrer ganz flach gebaut war, so konnte man immer noch fürchten, daß der Antriebsmechanismus entweder durch Bruch von Schaufeln oder durch Störung der Dampfmaschine Havarien erlitte.
    Dieses Mal ging es jedoch ohne Unheil ab, und gegen Abend ankerte der »Simon Bolivar« in einer Bucht des rechten Ufers bei der nicht unbedeutenden Ortschaft Las Bonitas.
Viertes Capitel.
Erste Annäherung.
    In Las Bonitas, der officiellen Hauptstadt des zugehörigen Kreises, wohnt der Militärgouverneur über den Caura, d. h. über das von diesem großen Nebenflusse bewässerte Gebiet. Die Ortschaft liegt am rechten Ufer und etwa an derselben Stelle, die in früherer Zeit die spanische Mission Altagracia einnahm. Diese Missionäre sind die wirklichen Eroberer der spanisch-amerikanischen Besitzungen gewesen und sahen es nicht ohne Eifersucht, daß sich auch Engländer, Deutsche und Franzosen darum bemühten, die Indianer des Innern zu bekehren. Noch heute kommt es aus dieser Ursache zu wiederholten Reibungen zwischen den Verbreitern der christlichen Lehre.
    Der Militärgouverneur befand sich zur Zeit in Las Bonitas. Mit Herrn Miguel war er persönlich bekannt. Auf die
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