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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco
Autoren: Jules Verne
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erreicht die Wärme die höchsten Grade; hier hat man die Gebiete zu suchen, die das Bett des Orinoco durchschneidet und nach denen Seewinde niemals Eingang finden. Sogar die Hauptwinde, die aus Norden und Osten kommenden Passate, werden durch die Höhen an der Küste aufgehalten und tragen nur sehr wenig zur Mäßigung der Wärme bei.
    Heute sah der bedeckte Himmel etwas regendrohend aus und die Passagiere litten nicht allzusehr von der Hitze. Der Wind wehte von Westen, also der Bewegung des Schiffes entgegen, so daß sich dessen Passagiere dabei recht wohl befanden.
    Der Sergeant Martial und Jean, die beide auf dem Spardeck lagen, betrachteten aufmerksam die beiden Ufer des Stromes. Ihre Reisebegleiter schienen von dem Schauspiel weniger angezogen zu werden. Nur das Geographentrio ließ sich keine Einzelheit entgehen und besprach alles mit einer gewissen Lebhaftigkeit.
    Hätte sich Jean an dasselbe gewendet, so würde er ja über Alles verläßliche Auskunft erhalten haben. Einerseits aber würde der eifersüchtige und strenge Sergeant Martial keinem Fremden gestattet haben, mit dem Neffen ein Gespräch zu beginnen, und andrerseits brauchte dieser wirklich niemand, um »Schritt für Schritt« alle Dörfer, Inseln und Windungen des Stromes zu erkennen. Er besaß einen sichern Führer in dem Berichte über zwei Reisen, die Chaffanjon im Auftrage des französischen Ministers des Unterrichts unternommen hatte. Die erste im Jahre 1884 umfaßte den Unterlauf des Orinoco zwischen Ciudad-Bolivar und der Mündung des Caura, wobei auch dieser bedeutende Nebenfluß untersucht wurde; die zweite, in den Jahren 1886 und 1887, erstreckte sich über den ganzen Lauf des Stromes von Ciudad-Bolivar bis zu dessen Quellen. Der Bericht des französischen Reisenden zeichnet sich durch die äußerste Verläßlichkeit aus, und Jean hoffte ihn noch häufig mit Vortheil zu benützen.
    Der Sergeant Martial war natürlich mit einer hinreichenden Geldsumme – in Piastern – versehen, um alle Unkosten der Reise bestreiten zu können. Er hatte sich auch mit einer gewissen Menge von Tauschgegenständen versorgt, wie mit Stoffen, Messern, Spiegeln, Glas-und Kunstwaaren, sowie mit andern hübschen Sachen von geringem Werthe, die den Verkehr mit den Indianern der Ilanos erleichtern helfen sollten. Der ganze Vorrath füllte zwei Kisten, die mit dem übrigen Gepäck in der Cabine des Onkels neben der seines Neffen standen.
    Sein Buch vor den Augen, verfolgte Jean gewissenhaft die beiden Stromufer, die sich entgegengesetzt der Richtung des »Simon Bolivar« scheinbar dahin bewegten. Sein Landsmann hatte bei jener Fahrt die Reise freilich unter ungünstigeren Umständen, nämlich in einem, oft nur durch Ruder fortbewegten Segelschiffe zurücklegen müssen, während jetzt Dampfboote bis zur Apuremündung verkehren. Von hier aus mußten sich der Sergeant Martial und Jean indeß ebenfalls mit derselben unvollkommenen Beförderungsmethode begnügen, da der Strom gar zu viele Hindernisse bietet, die den Reisenden arge Unbequemlichkeiten verursachen.
    Noch am frühen Morgen kam der »Simon Bolivar« in Sicht der Insel Orocopiche vorüber, deren Bodenerzeugnisse die Hauptstadt der Provinz reichlich mit dem Nöthigsten versehen. Hier engt sich das Bett des Orinoco bis auf neunhundert Meter ein, verbreitert sich aber ein wenig stromaufwärts wieder um das Dreifache. Von dem Oberdeck aus konnte Jean die umgebenden, nur von isolierten Cerros unterbrochenen Ebenen auf weite Strecken hm übersehen.
    Im Laufe des Vormittags vereinigten sich die Passagiere – im Ganzen etwa zwanzig – zum Frühstück im Salon, wo Herr Miguel und seine beiden Collegen die ersten waren, die ihre Plätze einnahmen. Der Sergeant Martial ließ sich jedoch kaum überholen; er schleppte dabei auch seinen Neffen mit sich, auf den er in so barschem Tone sprach, daß es Herrn Miguel gar nicht entgehen konnte.
    »Ein recht bärbeißiger Kerl, dieser Franzose, bemerkte er gegen den neben ihm sitzenden Herrn Varinas.
    – O, ein Soldat, das sagt ja Alles!« erwiderte der Vertheidiger des Guaviare.
    Das Auftreten des alten Unterofficiers war eben militärisch genug, daß niemand darüber in Zweifel bleiben konnte.
    Der Sergeant Martial hatte sich schon vor dem Frühstück »die Kehle geputzt«, indem er einen Anisado, einen Branntwein aus Zuckerrohr und mit Anis vermischt, verschluckte. Jean, der solche starke Getränke nicht zu lieben schien, bedurfte keines derartigen Reizmittels, um der
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