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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco
Autoren: Jules Verne
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er nicht einmal seinen alten Waffengefährten davon unterrichtete – das wird vielleicht der Verlauf dieser Erzählung lehren. Aus der Unterhaltung des Sergeanten Martial und des jungen Mannes hätte sich in Bezug hierauf nichts Bestimmtes entnehmen lassen.
    Was diese Zwei selbst anging, wäre etwa Folgendes zu berichten:
    Vor drei Wochen hatten sie ihre Wohnung in Chantenay bei Nantes verlassen und sich in Saint-Nazaire auf dem »Pereire«, einem Packetboot der Transatlantischen Gesellschaft eingeschifft, das nach den Antillen bestimmt war. Von da hatte ein andres Schiff sie nach La Guayra, dem Hafen von Caracas, übergeführt und eine kurze Eisenbahnfahrt sie endlich nach der Hauptstadt Venezuelas gebracht.
    Ihr Aufenthalt in Caracas währte nur eine Woche. Sie verwandten auch gar keine Zeit auf den Besuch der, wenn nicht merkwürdigen, so doch recht hübschen Stadt, in der der Höhenunterschied zwischen dem obern und dem untern Theile über tausend Meter beträgt. Ja sie bestiegen kaum den Calvarienberg mit seiner umfassenden Aussicht auf die ganze Ortschaft mit ihren meist leicht gebauten Häusern – leicht, weil sie so weniger Gefahr bei Erdbeben bieten – wie dem von 1812, bei dem zwölftausend Menschen umkamen. Uebrigens giebt es in Caracas auch recht schöne Parkanlagen mit vielen immergrünen Bäumen, einige sehenswerthe öffentliche Gebäude, wie den Palast des Präsidenten, eine Kathedrale von herrlicher Architektur, und Terrassen, die das prächtige Antillenmeer zu beherrschen scheinen; übrigens wogt hier das bunte Leben einer großen Stadt, denn Caracas zählt schon über hunderttausend Einwohner.
    Alles das vermochte den Sergeanten Martial und seinen Neffen aber keinen Augenblick von dem abzuziehen, was sie hier vor allem beabsichtigten. Sie benützten die acht Tage fast ausschließlich zur Einziehung von Erkundigungen bezüglich der Reise, die sie vorhatten und die sie vielleicht bis in die fernsten und fast unbekannten Theile der Republik Venezuela führen sollte. Was sie hier erfuhren, war freilich nicht viel und meist recht unbestimmt, sie hofften sich aber in San-Fernando ausführlicher und besser unterrichten zu können. Von da aus wollte Jean seine Nachsuchungen, soweit wie es irgend nöthig erschien, ausdehnen und wenn es sein mußte, bis nach den gefährlichen Gebieten des obern Orinoco vordringen.
    Wenn der Sergeant Martial dann etwa seine Autorität geltend machen wollte, wenn er Einspruch erhob, daß Jean sich den Gefahren einer solchen Reise aussetzte, so stieß er allemal – der alte Soldat wußte das ja gar zu gut – auf einen so zähen Widerstand bei dem jungen Manne – eigentlich Knaben dieses Alters, auf einen so unbeugsamen Willen, daß er schließlich nachgab, weil er eben nachgeben mußte.
    Deshalb wollten also die beiden Franzosen, die erst am Abend vorher in Ciudad-Bolivar eingetroffen waren, schon am nächsten Morgen an Bord des Dampfers weiter fahren, der den Dienst auf dem untern Orinoco versieht.
    »Gott leihe uns seinen Schutz, hatte Jean gesagt… ja, er beschütze uns bei der Hinreise wie bei der Wiederkehr!«
Drittes Capitel.
An Bord des »Simon Bolivar«.
    »Der Orinoco entstammt dem irdischen Paradiese«, so heißt es in einem der Berichte des Columbus. Als Jean diese Anschauung des großen genuesischen Seefahrers zum erstenmale vor dem Sergeanten Martial aussprach, meinte dieser nur:
    »Na, das werden wir ja sehen!«
    Vielleicht hatte er nicht unrecht, das Urtheil des berühmten Entdeckers Amerikas anzuzweifeln.
    Ebenso war es wohl richtiger, in den Bereich reiner Legenden die Behauptungen zu verweisen, nach denen der große Strom aus dem Lande El Dorado herkommen sollte, wie es die ersten Erforscher dieser Gegenden – ein Hajeda, Pinzon, Cabral, Magelhaens, Valdivia, Sarmiento und viele Andre zu glauben schienen, die nicht die Gebiete Südamerikas durchzogen.
    Jedenfalls beschreibt der Orinoco in der Republik einen ungeheuern Halbkreis zwischen dem dritten und dem achten Grade nördlicher Breite, dessen Bogenende bis zum siebzigsten Grade westlicher Länge von Paris hinreicht. Die Venezuolaner sind stolz auf ihren Strom, und natürlich standen die Herren Miguel, Felipe und Varinas in dieser Hinsicht ihren Landsleuten in keiner Weise nach.
    Vielleicht hatten sie sogar die Absicht, öffentlich gegen Elisée Reclus aufzutreten, der im zehnten Band seiner neuen »Allgemeinen Geographie« dem Orinoco nur den neunten Rang unter den Strömen der Erde zuertheilt,
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