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Der stolze Orinoco

Der stolze Orinoco

Titel: Der stolze Orinoco
Autoren: Jules Verne
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Nachricht von dessen Abreise nach dem oberen Orinoco hin, beeilte er sich, sobald der Dampfer angelegt hatte, an Bord zu kommen.
    Herr Miguel stellte dem Gouverneur seine beiden Collegen vor. Zwischen den Herren wurden verschiedene höfliche Redensarten gewechselt. Da der Aufenthalt des »Simon Bolivar« bis ein Uhr Mittags dauern sollte, nahmen die reisenden Gelehrten auch eine Einladung zum Frühstück in der Amtswohnung des hohen Beamten an.
    Um ein Uhr Mittags war es noch Zeit genug zur Wiederabfahrt, denn der Dampfer erreichte dann immer noch am Abend Caïcara, wo die Passagiere, die nicht nach San-Fernando oder andern Ortschaften der Provinz Apure zu reisen beabsichtigten, das Schiff verlassen sollten.
    Am nächsten Tage, dem 15. August, begaben sich die drei Mitglieder der geographischen Gesellschaft also nach der Wohnung des Gouverneurs. Vor ihnen aber – der Sergeant Martial hatte auf den Vorschlag seines Neffen hin »befohlen«, einmal auszusteigen – schlenderten diese Zwei schon durch die Straßen von Las Bonitas.
    Ein Flecken in diesem Theile Venezuelas bildet immer nicht viel mehr als ein Dorf mit einer Anzahl Hütten, die unter dem dichten Grün der tropischen Pflanzenwelt zerstreut liegen. Da und dort erheben sich Gruppen prächtiger Bäume als Zeugen der vegetativen Macht des Erdbodens – Chaparos mit gewundenem Stamme, gleich dem der Olivenbäume, Copernicia-Palmen mit in Garben vereinigten Zweigen, von denen die Blattstiele fächerartig herausstehen, Mauritius-Palmen, die hier den »Morichal«, d. h. eine Art Sumpf erzeugen, da sie die Eigenschaft haben, das Wasser aus der Erde aufzusaugen und es an ihrem Fuße, aber recht schmutzig erscheinend, wieder austreten zu lassen.
    Ferner gab es hier Copayseren, Saurans und riesenhafte, weit verästelte Mimosen, die sich durch die zarte Structur ihrer Blätter und deren blaßrothe schöne Färbung auszeichnen.
    Jean und der Sergeant Martial lustwandelten unter diesen Palmenhainen, die von Natur ein regelmäßiges Dreieck bildeten, und durch das vom niedrigen Gebüsch befreite Unterholz, wo elegante Bouquets von »Dormideras« oder Schläferinnen genannten Sensitiven von herrlicher Färbung in großer Menge vorkamen.
    Auf diesen Bäumen schaukelten sich oder liefen und sprangen ganze Banden von Affen umher. Von solchen Burschen wimmelt es in ganz Venezuela, wo nicht weniger als sechzehn, zwar recht lärmende, doch völlig harmlose Arten derselben vorkommen, unter andern jene Aluates oder Araguatos mit einer wahrhaft entsetzlichen Stimme, die jeden, der das Thierleben in den tropischen Wäldern noch nicht kennt, zu erschrecken pflegt. Von einem Zweige zum andern hüpfte und flatterte eine ganze geflügelte Welt, darunter Truplais, die ersten Tenöre dieses lustigen Orchesters, die ihr Nest an das Ende einer langen Liane zu hängen lieben, ferner Lagunen-Hähnchen, eine reizende, graziöse Hühnerart, und auch, in Spalten und Löchern versteckt, die Dunkelheit zum Ausfluge abwartend, zahlreiche, pflanzenfressende Guacharos, gewöhnlicher »Teufelchen« genannt, von denen es aussieht, als würden sie von einer Sprungfeder in die Höhe geschnellt, wenn sie sich über die Baumgipfel erheben.
    Immer weiter drangen die beiden Lustwandelnden in die Palmendickichte ein.
    »Ich hätte doch meine Flinte mitnehmen sollen, meinte der Sergeant Martial.-
    – Wolltest Du etwa Affen erlegen? fragte Jean.
    – Affen?… Nein!… Wenn es hier aber andre und lästigere Thiere gäbe…
    – Darüber sei ganz ruhig, lieber Onkel! Man muß sehr weit von bewohnten Stellen weggehen, um gefährlichen Raubthieren zu begegnen; es ist aber nicht ausgeschlossen, daß wir später in die Lage kämen, uns gegen solche vertheidigen zu müssen.
    – Das ist ganz gleichgiltig. Ein Soldat soll nie ohne seine Waffe ausgehen, und ich verdiente eigentlich bestraft zu werden.«
    Der Sergeant hatte seinen Verstoß gegen die Disciplin diesmal indeß nicht zu beklagen. Die großen und kleinen Katzenarten, die Jaguare, Tiger, Löwen, Ozelote und Wildkatzen, kommen meist nur in den dichten Urwäldern am Oberlaufe des Stromes vor. Dort läuft man gelegentlich auch Gefahr, auf Bären zu stoßen; diese Plantipeden (Sohlengänger) sind aber sanftmüthiger Natur und leben nur von Fischen und von Honig; wegen vorkommender Faulthiere (
Bratypus trydactylus
) brauchte man sich aber erst recht keine Sorge zu machen.
    Bei ihrem Spaziergange bemerkte der Sergeant Martial auch nur furchtsame Nagethiere,
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