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Der steinerne Kreis

Der steinerne Kreis

Titel: Der steinerne Kreis
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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der Zeit.
    Sie fand ein Hotel im Zentrum der Stadt, in der Nähe eines hohen Wasserturms, und aß im Freien zu Abend, unter einem kleinen Vordach. Nun fühlte sie sich schon viel besser. Der Regen, der wieder eingesetzt hatte, umhüllte sie mit einer Aura wohltuender Frische.
    In diesem Moment tauchten die Mädchen auf. Kleine Mädchen, viel zu grell geschminkt, in kunstledernen, hautengen Miniröcken, die Oberkörper in winzige Tops gezwängt. Diane beobachtete sie. Zehn, zwölf Jahre, älter waren sie nicht. Die hohen Absätze Beleidigungen ihrer kindlichen Gesichter. Am anderen Ende des Saals drängten sich schon die blonden Kolosse, Deutsche oder Australier, massig wie Schlachtvieh, und Diane nahm auf einmal eine Feindseligkeit wahr, die ihr selbst galt – als störte ihre Anwesenheit die Geschäftsbeziehungen zwischen den beiden Parteien.
    Ein galliger Geschmack stieg ihr in die Kehle. Noch mit knapp dreißig konnte sie den Gedanken an Sex nicht ertragen, ohne dass ihr ein Abscheu, ein unbezähmbarer Ekel den Hals zuschnürte. Sie floh in ihr Zimmer ohne einen Blick zurück, ohne das geringste Mitgefühl mit diesen Kindern, die nun der männlichen Gier ausgeliefert waren.
    Dann lag sie unter dem Moskitonetz und dachte wieder an ihr Ziel. Kurz bevor sie einschlief, sah sie die Warntafeln vom Flughafen vor sich, die Uniformen der Polizisten, die Kolben ihrer Waffen, und meinte in der Ferne das Klacken eiserner Riegel zu hören und dahinter das Dröhnen eines Hubschraubers …
     
    Um fünf Uhr morgens war sie wieder auf den Beinen. Von der Übelkeit war nichts mehr zu spüren. Die Sonne schien, das Fenster öffnete sich auf eine üppig blühende Pracht – es war wie der Ausblick durch das Bullauge eines Schiffs auf einen Urwald. Diane war in der Stimmung, notfalls den gesamten Dschungel umzugraben.
    Sie machte sich wieder auf den Weg und war am späten Vormittag in Ranong. Genau wie geplant. Sie erspähte das Meer: Es sah eher aus wie ein verschwommener Streifen aus morastigen Tümpeln, die sich zwischen ein Geflecht von Bäumen direkt über dem Wasser schoben. Irgendwo am Ende dieses Wasserlabyrinths verbarg sich die Grenze zu Birma. Ein Fischer erklärte sich wortlos bereit, sie mitzunehmen, und gleich darauf glitten sie durch das schwarze Wasser. Die Hitze, das Licht, die vorüberziehenden grünen Mauern: Mit ausgedörrter Kehle und prickelnder Haut nahm Diane jede Empfindung stoisch hin.
    Eine Stunde später erreichten sie eine Landzunge, auf der mehrere Gebäude aus Beton aufragten. Sie setzte einen Fuß auf den Sand und verspürte ein Triumphgefühl wie ein kleines Mädchen: Sie hatte es geschafft. Nirgendwo auf dem Planeten gab es einen Ort, zu dem sie nicht vordringen konnte …
    Vor der Poliklinik tobten Kinder herum, gleichgültig gegen die mittägliche Gluthitze. Diane betrachtete die schwarzen Mähnen, die dunklen Augen unter den geschwungenen Wimpern. Sie betrat das Hauptgebäude und fragte nach Térésa Maxwell. Der Schweiß rann an ihr herab, und es kam ihr vor, als durchschritte sie einen Spiegel. Einen Spiegel, den sie sich so oft herbeigeträumt hatte, dass er beinahe blind war.
    Eine alte Frau erschien, in einen dunkelblauen Pullover gekleidet, aus dem ein breiter weißer Kragen ragte. Modell Tortenheber. Das breite, eigentlich gutmütige Gesicht unter den kurzen grauen Haaren schien zu einer Miene ständigen Argwohns erstarrt. Diane stellte sich vor. Madame Maxwell führte sie durch eine offene Galerie zu einem Büro, das bis auf einen wackligen Tisch und zwei Stühle völlig kahl war.
    Diane zog ihre Akte hervor, die sie auf das Wesentliche reduziert hatte. In misstrauischem Ton fragte Térésa: »Haben Sie Ihren Mann nicht mitgebracht?«
    »Ich bin nicht verheiratet.«
    Das Gesicht verspannte sich. Die Frau musterte den goldenen Nasenring.
    »Wie alt sind Sie?«
    »Fast dreißig.«
    »Sind Sie unfruchtbar?«
    »Ich denke nicht.«
    Térésa blätterte in den Unterlagen und murmelte vor sich hin: »Ich weiß nicht, was sich die in Paris einbilden …« Dann sagte sie, lauter, den Blick auf Diane geheftet: »Sie haben eigentlich nicht das richtige Profil, Mademoiselle. Sie sind jung, hübsch, unverheiratet – was wollen Sie hier?«
    Diane fuhr auf wie unter Strom. Ihre Stimme war heiser – sie hatte zwei Tage lang kaum gesprochen: »Madame, ich habe fast zwei Jahre gebraucht, um bis zu Ihnen zu kommen. Ich musste einen endlosen Papierkrieg führen, Verhöre über mich ergehen lassen. Man hat
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