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Der Stalker

Der Stalker

Titel: Der Stalker
Autoren: Tania Carver
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gerötet – teils vor Anstrengung, teils vor Scham. »Tut mir leid. Irgendwann gewöhnt man sich wohl dran.«
    Phils Miene verzog sich. »Sobald das passiert, sollten Sie es als Gottes Fingerzeig ansehen, dass es höchste Zeit ist, zu kündigen und als Kaufhausdetektiv bei Marks & Spencer anzufangen.«
    »Klar. Verstehe, Boss.« Mickey Philips riskierte einen Blick Richtung Leiche. »Ist das … Glauben Sie, dass sie es ist, Boss?«
    Phil folgte seinem Blick. Die ersten Fliegen hatten sich eingefunden, und er verscheuchte sie mit der Hand. Ein sinnloses Bemühen, sie würden bald wiederkommen. »Ich hoffe es«, sagte er. »Ich meine – ich hoffe es natürlich nicht, aber andererseits möchte ich mir auch nicht vorstellen, dass wir es mit zwei verschwundenen Frauen zu tun haben.«
    Mickey nickte.
    Phil wandte sich ab und sah nach oben. Die Sonne stand bereits hoch. Der Himmel war so strahlend blau wie das Ei eines Rotkehlchens, die Luft voller Wärme und Verheißung. Doch für Phil warf das hellste Licht die dunkelsten Schatten. Er sah alles mit den Augen eines Detectives. Er konnte das nicht ändern, seine Arbeit brachte es mit sich. Wo andere die Lebenden sahen, sah er die Toten. Oft hatte er sogar das Gefühl, dass die Geister der Toten zu ihm sprachen und ihn um Gerechtigkeit und Frieden anflehten. Auch jetzt hörte er eine Stimme im sanften Knarren des schaukelnden Bootes: Finde ihn, damit ich ruhen kann.
    Julie Miller war am Donnerstag der Vorwoche verschwunden. Vor zwölf Tagen.
    Phil hatte nicht direkt mit dem Fall zu tun gehabt, da eine gewöhnliche Vermisstensache nicht unter die Zuständigkeit des MIS fiel, es sei denn, es bestand der Verdacht, dass ein Verbrechen im Spiel war. Aber er hatte davon gehört. Miller war Ende zwanzig, hatte einen festen Freund und arbeitete als Ergotherapeutin im Colchester General Hospital. Besaß eine Eigentumswohnung und einen Kleinwagen. Eines Abends war sie spurlos verschwunden. Die Polizei war der Sache nachgegangen und hatte in ihrer Wohnung keinerlei Hinweise auf einen Kampf, eine gewaltsame Entführung oder gar auf Mord gefunden. Der verzweifelte Freund war ausgiebig befragt und anschließend freigelassen worden. Polizisten hatten stundenlang Videomaterial der städtischen Überwachungskameras gesichtet, das Julie auf dem Weg zur und von der Arbeit zeigte. Nichts. Es war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.
    Julie Miller war jung, hübsch, weiß und bürgerlich – das Lieblingsprofil der Presse. Entsprechend schnell klinkten sich die Medien in den Fall ein, sendeten Aufrufe, zeigten Fotos. Julies Eltern und ihr Freund hatten sogar eine Pressekonferenz gegeben und unter Tränen an die junge Frau appelliert, nach Hause zurückzukommen. Doch es gab immer noch kein Lebenszeichen von ihr.
    So was passiert häufiger, als man meint. Dass Menschen einfach verschwinden. Derlei Worte waren kein Trost für ihre Eltern, dennoch hörten sie sie wieder und wieder. Stets dieselbe Erklärung, die keine war. Entweder sie taucht irgendwann von selbst wieder auf, sagten die Leute, oder nicht . Niemand wusste, was man sonst noch tun sollte, außer darauf zu hoffen, dass Julie bald eine Postkarte aus einem fernen, heißen Land schicken würde.
    »Und? Ist das unsere Ausreißerin?« Detective Chief Inspector Ben Fenwick kam den Steg herauf, und nicht einmal sein Papieroverall nebst Latexhandschuhen, Schuhüberziehern und Kapuze konnte ihm etwas von seiner Selbstgefälligkeit nehmen.
    »Ich denke schon, Sir«, antwortete Phil, der wusste, dass Fenwick nichts lieber mochte, als mit »Sir« angesprochen zu werden, weil das den Anschein von Unterwürfigkeit erweckte. »Ich meine, ich hoffe es.«
    Fenwick nickte, das Gesicht eine Maske professionellen Ernsts. »Ja. V-erstehe«, sagte er, stellte sich neben Phil und zuckte zusammen, als sein Blick auf die Leiche fiel. »Nicht auszudenken, wenn es noch eine gäbe, was?«
    Wenige Minuten zuvor hatte Phil genau denselben Gedanken geäußert – aus Sorge um das potentielle Opfer. Fenwick, das wusste Phil aus Erfahrung, hatte es getan, weil er um seine Statistiken besorgt war.
    Phil mochte Fenwick nicht – eine Abneigung, die auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihrer Arbeit zuliebe hatten sie allerdings eine Art Waffenstillstand geschlossen. Da Phil engagiert und intelligent war und zuverlässig Ergebnisse lieferte, ertrug Fenwick seinen aufmüpfigen Untergebenen als notwendiges Übel. Phil seinerseits hielt Fenwick für einen Heuchler. Er
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