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Der Staat

Der Staat

Titel: Der Staat
Autoren: Platon
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erleiden, gegenseitig einander belügen würden. Dieß also denn nun verhält sich in dieser Weise.
    4. Die Beurtheilung selbst aber des Lebens derjenigen, über welche wir sprechen, werden wir wohl richtig vorzunehmen im Stande sein, wenn wir den Gerechtesten und den Ungerechtesten auseinander halten, nicht hingegen, wenn wir jenes nicht thun. Wie also wollen wir sie auseinander halten? Folgendermaßen: wir wollen Nichts hinwegnehmen bei dem Ungerechten von der Ungerechtigkeit, und Nichts bei dem Gerechten von der Gerechtigkeit, sondern jeden von beiden bezüglich seines Bestrebens als einen vollendeten hinstellen. Erstens also der Ungerechte soll es machen wie die gewandten Werkmeister, wie nemlich ein hervorragender Steuermann oder Arzt sowohl das Unmögliche, als auch das Mögliche in seiner Kunst wohl auseinander kennt, und das eine hievon versucht, das andere aber unterläßt, und ferner auch, wenn er irgendwo fehlgegriffen, tüchtig genug ist, es wieder gut zu machen, ebenso bleibe auch der Ungerechte, wenn er richtige Versuche zum Unrechtthun macht, dabei unentdeckt, woferne es in hohem Grade ungerecht sein soll; jenen hingegen, welcher sich ertappen läßt, muß man für einen Verächtlichen halten, denn die äußerste Ungerechtigkeit ist eben, gerecht zu sein scheinen, während man es nicht ist. Verleihen also müssen wir dem in vollendeter Weise Ungerechten auch die vollendetste Ungerechtigkeit, und nicht dürfen wir etwas hinwegnehmen, sondern wir müssen es zulassen, daß er, während er das größte Unrecht verübt, die höchste öffentliche Meinung bezüglich seiner Gerechtigkeit sich verschafft habe, und, falls er in irgend Etwas fehlgegriffen, die Fähigkeit hat, es wieder gut zu machen, indem er tüchtig genug ist sowohl im Reden bezüglich des Überzeugens, falls eine seiner unrechten Thaten zur Anzeige gebracht wurde, als auch im Anwenden der Gewalt, wo es Gewalt bedarf, sei es durch Tapferkeit und Stärke, oder sei es durch Bereithalten von Freunden und von Geld. Nachdem wir aber diesen als einen derartigen aufgestellt haben, wollen wir in unserer Rede den Gerechten neben ihn stellen, als einen schlichten und edlen Mann, welcher nach des Äschylos Wort 23 »nicht gut scheinen, sondern gut sein will«. Hinwegnehmen demnach müssen wir von ihm das bloße Scheinen; denn woferne er gerecht zu sein scheinen würde, kämen ihm Ehren und Geschenke zu, weil er eben derartig zu sein schiene; ungewiß also wäre es, ob er um des Gerechten willen oder um der Geschenke und Ehren willen ein derartiger sei. Zu entblößen demnach ist er von Allem mit Ausnahme der Gerechtigkeit selbst, und gerade in dem entgegengesetzten Verhalten gegen den Vorigen ist er darzustellen. Nemlich er habe, während er kein Unrecht thut, die höchste öffentliche Meinung seiner Ungerechtigkeit, damit er bezüglich der Gerechtigkeit ein Erprobter sei, daß nemlich dieselbe in Folge übler Meinung und des hieraus Erwachsenden nicht befleckt werde; sondern unwandelbar verbleibe er bis zu seinem Tode, sein ganzes Leben hindurch ungerecht scheinend, wirklich aber gerecht seiend, damit jene beiden, fortgeschritten bis zum äußersten Punkte, der Eine in der Gerechtigkeit, der Andere aber in der Ungerechtigkeit, nun beurtheilt werden mögen, welcher von ihnen beiden nemlich der Glücklichere sei. –
    5. Weh, o lieber Glaukon, sagte ich, mit welch kräftigen Zügen stellst du jeden jener beiden Männer, wie eine Bildsäule, zur Beurtheilung rein her! – Ja, sagte er, so sehr ich eben kann. Da aber beide die derartigen sind, so wird es, wie ich glaube, nichts Schwieriges mehr sein, in der weiteren Begründung durchzugehen, welcherlei Leben jeden von beiden erwarte. Dieß muß ich also hiemit angeben. Und wann dieß denn auch in etwas gröberer Weise ausgedrückt wird, so glaube nicht, o Sokrates, daß ich es sei, der spreche, sondern diejenigen, welche im Vergleiche mit der Gerechtigkeit die Ungerechtigkeit loben. Diese werden demnach Folgendes sagen, daß der Gerechte bei solchem Verhalten gegeißelt, gefoltert, in Ketten gelegt, durch Ausbrennen seiner Augen beraubt werden, und zuletzt, nachdem er all dieses erduldet, aufgehängt werden und hiemit erkennen wird, daß man nicht den Willen haben soll, gerecht zu sein, sondern nur es zu scheinen; jenen Spruch des Äschylos aber müßte man also weit richtiger von dem Ungerechten anwenden, denn in der That wird man von dem Ungerechten sagen, daß er, indem er ein in sich wahrheitsgetreues
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