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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker
Autoren: Liaty Pisani
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würde mich nicht wundern, wenn er schon hier wäre, um auf dein Begräbnis zu warten; seit Jahren hofft er, dich endlich loszuwerden«, sagte er und begleitete den Freund zur Tür.
    Bevor sich Vernon von Ogden verabschiedete, legte er ihm eine Hand auf die Schulter.
    »Weißt du noch, der viele Schnee in jener Nacht? Das fette Schwein war schnell, aber du warst noch schneller«, sagte er und blickte ihm in die Augen. »Ich werde das Mädchen finden, aber vergiß du nicht, daß du am Leben bleiben mußt …«
    Als Ogden den Garten durchquerte, hörte er einen Nachtvogel schreien.
    »Sie fliehen aus der freien Natur«, dachte er, »als ob es besser wäre, hier zu sterben.«
     
     
    Veronica verbrachte eine ruhige Nacht. Sie träumte von Mantero und ihrer Wohnung: Es war Sommer, die Sonne fiel in den hellen Räumen wie Goldstaub auf Möbel und Gegenstände. Mantero redete, doch sie konnte seine Worte nicht verstehen. Der Wind blähte die Vorhänge durch die angelehnten Fenster wie Segel eines zum Auslaufen bereiten Schiffes. Und in der Tat hob jetzt das Dachappartement von dem Gebäude ab und begann, über der Stadt zu schweben und sich immer weiter zu entfernen, bis es nur noch ein winziger Punkt am Horizont war.
    Veronica erwachte, der Traum verblaßte sofort, aber die Erinnerung an ihre Wohnung und der Wunsch, diese wiederzusehen, blieben rege in ihr.
    Sie nahm ein heißes Bad und zog sich an. Sie besaß nur die Kleider, die sie bei ihrer Abreise am Leib getragen hatte, und mußte nun etwas zum Anziehen kaufen. Das Geschäft, das sie am Vorabend gesehen hatte, konnte genau das richtige sein.
    Nach dem Frühstück verließ sie das Hotel, überquerte hastig die Straße und betrat jene Boutique. Ein hübsches junges Mädchen, das einen ähnlichen Geschmack hatte wie sie, bediente sie, und Veronica ließ sich von ihr wie ein Kind anziehen, es bereitete ihr ein nie gekanntes Vergnügen, diese Aufgabe anderen zu überlassen. Sie verließ den Laden in einem neuen dunkelroten Chanel-Kostüm. Daß ihr diese Farbe gefallen könnte, hätte sie nie für möglich gehalten. Die seidene Bluse unter der Jacke spannte sich weich um ihren Busen.
    Als sie wieder im Hotel war, fiel ihr der Taxifahrer ein, der ihr am Vortag aus der Klemme geholfen hatte. Sie holte seine Visitenkarte aus der Handtasche und reichte sie dem Portier.
    »Bitte rufen Sie diese Nummer für mich an.«
    Als die Verbindung hergestellt war, verlangte sie Tango 27. Er war verfügbar und würde in fünf Minuten da sein. Sie fühlte sich geradezu glücklich: sie hatte vor, zu ihrem ehemaligen Haus zu fahren und den Pförtner zu bitten, die Wohnung ansehen zu dürfen.
    Das Taxi kam, der Fahrer lächelte ihr zu, als er ihr die Wagentür öffnete.
    »Wohin darf ich Sie heute bringen?«
    »Dorthin, wo wir gestern waren. Können Sie sich an den Platz erinnern?«
    Sie waren in kurzer Zeit da. Ein Kindermädchen, das einen Kinderwagen vor sich herschob, kam gerade aus der Haustür. Sie war über den Säugling gebeugt und schäkerte mit ihm, während sie die Miniaturkutsche in Richtung der Anlagen schob.
    »Ich muß mir eine Wohnung ansehen«, sagte sie zu dem Fahrer, bevor sie ausstieg. »Warten Sie bitte auf mich.«
    Der Fahrer nickte.
    »Lassen Sie sich ruhig Zeit. Ich werde mir die Zeitung kaufen, die habe ich heute noch nicht gelesen.«
    In der Eingangshalle des Hauses putzte eine Frau gerade den Messinghandlauf des Treppengeländers. Veronica trat auf sie zu.
    »Guten Morgen. Ich möchte mir gern die Wohnung im obersten Stockwerk ansehen. Ihr Mann hat mir gestern gesagt, daß sie verkauft werden soll.«
    Die Frau unterbrach ihr Polieren und richtete sich auf.
    »Ich weiß nicht«, sagte sie widerstrebend, »ich muß erst nachsehen, ob die Schlüssel hier abgegeben worden sind.«
    Sie betrat die Portiersloge, kramte in einer Schublade und zog einen Schlüsselbund heraus, mit dem sie hinter der Fensterscheibe herumwedelte, um Veronicas Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
    »Hier sind sie«, sagte sie beim Herauskommen. »Gehen Sie ruhig hinauf. Aber bitte vergessen Sie nicht, die Rolläden wieder herunterzulassen, wenn Sie gehen.«
    Veronica hörte sie nicht mehr. Sie stieg die Treppe hinauf, die zu den Aufzügen führte, und holte den linken Aufzug herunter. Als sie die Kabine betrat, sah sie ihr Bild im Spiegel; vielleicht hatte sie dieses Haus nie verlassen, sondern mit Mantero hinter diesem Spiegel weitergelebt. Sie berührte die kalte Spiegeloberfläche in
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