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Der Spion und der Analytiker

Der Spion und der Analytiker

Titel: Der Spion und der Analytiker
Autoren: Liaty Pisani
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Scheinwerferlicht, die Strahlenbündel erreichten auch noch seine obersten Filialen. Ogden erinnerte sich an jene Nacht vor vielen Jahren, da Vernon über den menschenleeren Domplatz gelaufen und der KGB -Mann, der ihn verfolgte, wie ein Tanzbär über das Glatteis geglitten war. Es hatte geschneit, weit und breit war kein Mensch zu sehen. Die zwei schwarzen Gestalten hatten im Schein der Straßenlampen vor dem Dom einen Todestanz aufgeführt, der mit dem Sieg Vernons endete. Als dritter Mann hatte sich Ogden hinter den Säulen des Portikus verborgen und im richtigen Augenblick eine lautlose Kugel in den Rücken des Russen abgeschossen. Der Tanzbär war, wie von einem unsichtbaren Schlitten gezogen, noch ein paar Meter weiter gerutscht und dann anmutig zu Boden gefallen. Als er die Schritte des Russen hinter sich nicht mehr hörte, hatte sich Vernon mitten im Laufen umgedreht. Da war Ogden aus seinem Versteck hervorgetreten und auf ihn zugegangen.
    Das betroffene Staunen Vernons war Ogden unvergeßlich, ebenso wie Vernon umgekehrt nie vergessen hatte, daß er ihm sein Leben verdankte.
    Ogden ließ den Fiat im Halteverbot stehen, bestieg das letzte Taxi, das noch am Taxistand war, und gab dem Fahrer die Adresse des ehemaligen Agenten.
    Vernons Haus lag im elegantesten Viertel der Stadt: eine Villa aus der Zeit der Jahrhundertwende, die von einer hohen Mauer umgeben war. Als er am Tor klingelte, schaltete sich die Video-Sprechanlage ein, aber es dauerte eine ganze Weile, bis die Tür aufging und der Pförtner ihn durch den Garten führte, in dem es schon blühte. Im Hausflur wurde er von einer energisch wirkenden Haushälterin empfangen, die ihn in ein geräumiges Zimmer mit Holztäfelungen an den Wänden und einigen wertvollen Gemälden aus der lombardischen Schule geleitete.
    Dann ging hinter ihm eine Tür auf, Ogden drehte sich um, Vernon kam mit ausgestreckten Armen und einem Lächeln in dem etwas allzu rosigen schönen Gesicht auf ihn zu.
    »Ogden, alter Knabe!« rief er aus und umarmte ihn wie ein russischer Emigrant. »Du hast dich ja überhaupt nicht verändert!«
    Ogden wunderte sich über das Vergnügen, das er beim Wiedersehen des Freundes empfand.
    »Du kannst dich aber auch nicht beklagen, siehst ja aus wie Cary Grant nach dem dritten Lifting«, sagte er lachend.
    Es folgte ein kleiner Schlagabtausch, und nachdem ihr Vorrat erschöpft war, setzten sie sich vor eine Flasche Chivas.
    »Also, womit kann ich dir dienen?« fragte Vernon und sah ihn aufmerksam an.
    »Ich muß eine Person finden, die heute früh hier angekommen ist.«
    »Und natürlich hast du es damit sehr eilig?« fragte Vernon und betrachtete seine gepflegten Fingernägel.
    »Sehr eilig.«
    »Wie angekommen?«
    In weniger als einer Viertelstunde gab Ogden seinem Freund alle notwendigen Informationen, wobei er ihm so viel wie möglich verschwieg.
    »Das dürfte nicht schwierig sein«, sagte der ehemalige Agent, während er eine Zigarre köpfte. »Wo kann ich dich erreichen?«
    »Ich weiß es nicht, ich bin dauernd unterwegs. Besser, ich rufe dich morgen an.«
    »Schlimme Sache, wie?«
    »Sehr schlimm.«
    Vernon füllte die Gläser nach.
    »Die Zeiten haben sich geändert«, sagte er ernst. »Die Welt ist durch und durch verkommen; ich bin froh, schon sechzig zu sein. Ja, wenn ich nicht noch ganz gern bumsen würde, wäre ich am liebsten schon siebzig. Weißt du, daß ich sogar mit der Religion kokettiere? Ich möchte am liebsten an ein mit wunderschönen Huris bevölkertes Jenseits glauben.«
    »Was den Dienst betrifft …«
    »Was den Dienst betrifft, habe ich dich nicht gesehen«, fiel ihm Vernon ins Wort. »Und wenn du ein paar tüchtige Jungs brauchst, um dir den Rücken freizuhalten, sag es ruhig.«
    »Ich möchte nicht, daß du in Berlin Verstimmung auslöst. Ich werde mich allein durchschlagen, danke. Treib mir das Mädchen auf, Vernon, das ist das Allerwichtigste.«
    Vernon betrachtete ihn selbstvergessen.
    »Schlechtes Zeichen. Das Allerwichtigste ist, am Leben zu bleiben. Hast du das vergessen?«
    Ogden erhob sich von seinem Sessel. Er hatte einen schweren Kopf und fühlte sich wie zerschlagen, sah seinen Freund aber lächelnd an.
    »Du hast recht, die Welt ist durch und durch verkommen, und ich werde bestimmt keine Sechzig. Aber es ist ja noch nicht alles verloren, solange ein verfluchter Hund wie ich noch einen Freund hat, der ihm hilft, meinst du nicht?«
    Auch Vernon stand auf.
    »Sei vorsichtig. Und hüte dich vor Stuart, es
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