Der Spieler
Spieler und Polina Dostojewskijs eigene Liebesaffäre mit Apollinaria Suslowa aufzudecken, einer jungen russischen Schriftstellerin ( 1840 – 1918 ). Viele Leser sehen sich durch dieses Faktum dazu animiert, den Roman als autobiographisches Dokument zu lesen, zumal ja Dostojewskij selbst an der Spielsucht gelitten hat. Auch wurden Parallelen zu Puschkins Erzählung
Pique Dame
( 1834 ) geltend gemacht: dort landet Hermann, der Spieler, im Irrenhaus, weil er nicht zur Liebe (die Lisa erhofft) fähig ist; und die reiche alte Dame bei Dostojewskij, die genau in der Mitte des Romans ihren großen Auftritt hat, lässt an die reiche uralte Gräfin bei Puschkin denken. Solches Wissen aber gehört zur Schaffenspsychologie und kann von der eigenständigen und speziellen Welt, die uns der Roman erschließt, nur ablenken, ja sie sogar verstellen.
Dostojewskijs Ich-Erzähler Alexej Iwanowitsch will sich durch schriftliche Fixierung seiner Erlebnisse von deren quälender Präsenz befreien. Er schildert nur einige wenige Tage in chronologischer Folge, die sich über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren verteilen. Es sind »Aufzeichnungen eines jungen Mannes« (so die Kennzeichnung durch Dostojewskijs Untertitel), die gar nicht für eine Veröffentlichung bestimmt sind. Der Leser wird gleichsam Zeuge eines schriftlichen Selbstgesprächs. Regie führt bei dieser kalkuliert rhapsodischen Erzählweise natürlich Dostojewskij selbst. So ist etwa das erste Kapitel eine virtuose Einführung in das Milieu und das letzte Kapitel ein ebenso virtuoser Epilog, der nach einem Zeitsprung von achtzehn Monaten über den Verbleib der zentralen Personen berichtet.
Dostojewskij profiliert seinen Ich-Erzähler Alexej Iwanowitsch durch unmittelbare Begegnungen mit seiner Umwelt. Zunächst Hauslehrer in der Familie des russischen Generals und verschuldeten Gutsbesitzers Sagorjanskij, der in Roulettenburg ein Highlife auf Pump führt, sieht sich Alexej aufgrund seiner Mittellosigkeit verachtet, kann sich aber von den Maßstäben seiner Umwelt, Sozialprestige an materiellen Besitz zu koppeln, nicht wirklich lösen, wodurch es zu Verkennungen seiner Umwelt kommt. Mister Astley, der pragmatische Engländer, wird von Dostojewskij dazu benutzt, mit seinen Kommentaren die Perspektive des Ich-Erzählers zurechtzurücken (Kap. VIII und insbesondere Kap. XVII ). Die Beziehung zwischen Alexej und Praskowja (genannt Polina), der Stieftochter des Generals, die von Alexej masochistisch angebetet wird, entwickelt sich zu einer Hass-Liebe, die schließlich beide auseinandertreibt. Mit Polina zerstritten, verfällt Alexej der französischen Kokotte Mademoiselle Blanche de Cominges (unter anderem Namen noch vor zwei Jahren aus der Stadt gewiesen). Sie ist nun die angebliche Kusine »zweiten oder dritten Grades« des angeblichen »Marquis« des Grieux, der in Wahrheit ein dreister Hochstapler ist, Polina verführt hat und ihrem Stiefvater ein Darlehen gewährt – in sicherer Hoffnung auf dessen zukünftigen Reichtum anlässlich des angeblich kurz bevorstehenden Todes der jetzt fünfundsiebzigjährigen Erbtante Antonida Wassiljewna Tarasewitschewa, »Großgrundbesitzerin und alteingesessene Moskowiterin«.
Diese im Voraus totgesagte »Babuschka« taucht jedoch unversehens und höchst lebendig in Roulettenburg auf. Dostojewskij arrangiert den Besuch der alten Dame im Rollstuhl, von dem aus sie matriarchalisch ihre Befehle erteilt, zum ersten Höhepunkt des Romans. Sie lässt sich in den Spielsaal schieben, direkt neben den Croupier, gewinnt zunächst erstaunliche Beträge, verliert dann aber wieder alles (und noch mehr in Wertpapieren) und reist wieder ab – zurück nach Moskau, genauso plötzlich, wie sie gekommen ist. Das Geld für die Heimreise muss sie sich von Mister Astley leihen (Kap. IX – XIII ). Die finanzielle Situation des Generals und seiner Stieftochter wird dadurch aussichtslos, und der Marquis des Grieux reagiert darauf umgehend mit einem Brief an Polina, der ihn in seiner ganzen Heimtücke und Menschenverachtung sichtbar werden lässt. Ein kleines Meisterwerk Dostojewskijs, französisch stigmatisiert (Kap. XIV ). Alexej aber gewinnt unverzüglich noch im gleichen Kapitel am Roulette hunderttausend Florin, das sind zweihunderttausend Francs (darin besteht der zweite und eigentliche Höhepunkt des Romans), eine Unsumme, die er allerdings, nach dem Streit mit Polina auf seinem Hotelzimmer, sofort darauf in Paris mit Mademoiselle Blanche
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