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Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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comte mich bei Tisch nicht wiedererkennen würde. Der General dachte nicht einmal daran, uns bekannt zu machen oder mich wenigstens vorzustellen, und Monsieur le comte war selbst durch Rußland gereist und wußte, daß jemand, den sie einen
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nennen, kein rarer Vogel ist. Übrigens kennt er mich sehr wohl. Aber ich muß gestehen, daß ich ungebeten bei Tisch erschienen war; offenbar hatte der General vergessen, seine Anordnungen zu treffen, denn andernfalls hätte er mich an die Table d’hôte geschickt. Ich erschien aus eigenem Antrieb, so daß der General mir einen mißbilligenden Blick zuwarf. Die gute Marja Filippowna wies mir sofort einen Platz an; aber die Begegnung mit Mister Astley rettete mich, meine Zugehörigkeit zu ihrer Gesellschaft war nolens volens legitimiert.
    Diesen wunderlichen Engländer hatte ich schon in Preußen kennengelernt, in einem Eisenbahnabteil, wo wir einander gegenübersaßen, als ich den Unsrigen nachreiste; dann traf ich auf ihn bei meiner Einreise nach Frankreich und schließlich in der Schweiz; im Laufe dieser beiden Wochen zweimal – und nun trafen wir einander in Roulettenburg. In meinem ganzen Leben bin ich noch nie einem schüchterneren Menschen begegnet; er ist bis zur Torheit schüchtern und weiß es selbst, denn er ist keinesfalls töricht. Übrigens, ein sehr liebenswerter, stiller Mensch. Ich hatte ihn schon bei unserer ersten Begegnung in Preußen zum Reden gebracht. Er ließ mich wissen, daß er im vergangenen Sommer am Nordkap gewesen sei und die größte Lust habe, den Jahrmarkt in Nischnij Nowgorod zu besuchen. Ich weiß nicht, unter welchen Umständen er den General kennengelernt hat, aber mir scheint, daß er unsterblich in Polina verliebt ist. Als sie den Raum betrat, wurde er feuerrot. Er freute sich sehr, daß ich mich zu ihm gesetzt hatte, und hält mich, scheint es, schon für einen engen Freund.
    Bei Tisch führte der Franzose das große Wort; er gab sich arrogant und lässig. In Moskau aber, ich erinnere mich, ließ er eine Seifenblase nach der anderen steigen. Da hatte er sich sehr ausgiebig über Finanzen und russische Politik verbreitet. Der General erkühnte sich hin und wieder zu einem Widerspruch, aber sehr bescheiden, höchstens so weit, um nicht seine Würde endgültig einzubüßen.
    Ich war in einer wunderlichen Stimmung; selbstverständlich hatte ich während der ersten Hälfte des Essens gerätselt, mir meine übliche und immerwährende Frage gestellt: “Warum gebe ich mich mit diesem General ab und bin ihnen allen nicht bereits längst davongelaufen?” Hin und wieder warf ich einen Blick auf Polina Alexandrowna; sie nahm von mir nicht die geringste Notiz. Es endete damit, daß ich, erbost, mich entschloß, dreist zu werden.
    Mir nichts, dir nichts, mischte ich mich laut und unaufgefordert in die allgemeine Unterhaltung ein. Ich hatte es vor allem auf den kleinen Franzosen abgesehen. Ich wandte mich an den General – und bemerkte plötzlich laut und deutlich, wobei ich ihm anscheinend ins Wort fiel, daß es für einen Russen in diesem Sommer nahezu unmöglich geworden sei, an einer Table d’hôte zu speisen. Der General richtete einen erstaunten Blick auf mich.
    »Ein Ehrenmann«, fuhr ich unaufhaltsam fort, »setzt sich in jedem Fall Schmähungen aus und wird etliche Nasenstüber in Kauf nehmen müssen. In Paris und am Rhein, sogar in der Schweiz, wimmelt es von kleinen Polen und mit ihnen sympathisierendem Franzosenvolk, es ist unmöglich, sich auch nur einmal zu äußern, wenn man Russe ist.«
    Ich hatte Französisch gesprochen. Der General sah mich verdutzt an, sichtlich im Zweifel, ob er in Zorn geraten oder sich nur wundern sollte, daß ich mich derart vergessen konnte.
    »Das bedeutet, daß irgend jemand Ihnen irgendwo eine gehörige Lektion erteilt hat«, ließ der Franzose nachlässig verlauten.
    »Ich bin in Paris zuerst an einen Polen geraten«, antwortete ich, »und darauf an einen französischen Offizier, der zu dem Polen hielt, und dann erst wechselten die übrigen Franzosen auf meine Seite, und zwar als ich erzählte, daß ich einem Monsignore in den Kaffee spucken wollte.«
    »Spucken?« fragte der General gravitätisch und blickte sogar erstaunt um sich. Der Franzose musterte mich argwöhnisch.
    »Jawohl, so war es«, antwortete ich. »Da ich ganze zwei Tage überzeugt war, daß ich möglicherweise in unserer Angelegenheit ganz kurz nach Rom würde fahren müssen, begab ich mich in die Kanzlei des Heiligen Vaters in
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