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Der Spieler

Der Spieler

Titel: Der Spieler
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Paris , um mir das Visum in den Paß stempeln zu lassen. Dort empfing mich ein Abbé von ungefähr fünfzig Jahren, dürr und mit eisiger Miene, der mir höflich zuhörte, aber außerordentlich trocken bat, mich zu gedulden. Ich war zwar in Eile, nahm aber Platz, um zu warten, zog die › Opinion Nationale ‹ hervor und stieß sogleich auf einen gräßlichen Artikel gegen Rußland. Dabei hörte ich, wie durch das Nachbarzimmer jemand zum Monsignore vorgelassen wurde; ich sah meinen Abbé sich eifrig verbeugen. Ich wandte mich abermals mit meiner Bitte an ihn; er bat, noch trockener, mich zu gedulden. Kurz darauf erschien ein weiterer Unbekannter, aber geschäftlich – ein Österreicher; dieser wurde angehört und sofort hinaufgeleitet. Das verstimmte mich sehr; ich stand auf, trat vor den Abbé, wies ihn mit Nachdruck darauf hin, daß, wenn Monsignore bereits empfange, er sich auch meiner Sache annehmen könne. Plötzlich wich der Abbé vor lauter Erstaunen vor mir zurück. Er konnte einfach nicht begreifen, wie ein nichtswürdiger Russe so dreist sein könne, sich auf eine Stufe mit den Gästen des Monsignore zu stellen? In allerunverschämtestem Ton, sichtlich zufrieden, mich beleidigen zu können, musterte er mich von Kopf bis Fuß und fuhr mich an: ›Glauben Sie etwa, Monsignore würde Ihretwegen seinen Kaffee stehenlassen?‹ Da brüllte auch ich, aber lauter als er: ›Sie sollen wissen, daß ich auf den Kaffee Ihres Monsignore spucke! Und wenn Sie meinen Paß nicht augenblicklich bearbeiten, werde ich ihn persönlich aufsuchen!‹
    ›Wie! Ausgerechnet jetzt, da Seine Eminenz, der Kardinal bei Ihm ist!‹ rief der Abbé, fuhr entsetzt zurück, stürzte zur Tür und pflanzte sich mit ausgebreiteten Armen davor auf, um zu demonstrieren, daß er eher sterben als mich durchlassen würde.
    Darauf erwiderte ich, ich sei ein Häretiker und Barbar, › que je suis hérétique et barbare ‹, und daß mir alle diese Erzbischöfe, Kardinäle, Monsignori und so weiter und so weiter völlig Schnuppe seien. Kurz, ich gab deutlich zu verstehen, daß ich nicht weichen würde. Der Abbé warf mir einen unendlich bösen Blick zu, riß mir den Paß aus der Hand und ging mit ihm nach oben. Eine Minute später kam er mit dem Visum zurück. Hier, wünschen Sie es zu sehen?« Ich zog den Paß aus der Tasche und zeigte das römische Visum.
    »Sie haben das allerdings«, begann der General …
    »Es war Ihre Rettung, daß Sie sich als Barbar und Häretiker vorgestellt haben«, bemerkte der kleine Franzose mit maliziösem Lächeln. » Cela n’était pas si bête .«
    »Soll man sich etwa an unseren Russen ein Beispiel nehmen? Sie hocken hier – wagen nicht zu mucksen und sind womöglich bereit zu verleugnen, daß sie Russen sind. Jedenfalls wurde ich in meinem Hotel in Paris wesentlich zuvorkommender behandelt, nachdem ich allen von meinem Zusammenstoß mit dem Abbé erzählt hatte. Der wohlbeleibte polnische Pan, mein erklärter Feind an der Table d’hôte, zog sich in den Hintergrund zurück. Die Franzosen ertrugen es sogar, daß ich erzählte, wie ich vor zwei Jahren einen Mann kennenlernte, auf den im Jahre zwölf ein französischer Chasseur geschossen hatte – einzig und allein, um das Gewehr zu entladen. Dieser Mann war damals ein zehnjähriges Kind, dessen Familie Moskau nicht rechtzeitig verlassen hatte.«
    »Ausgeschlossen!« brüllte der Franzose auf. »Ein französischer Soldat schießt nie auf ein Kind!«
    »Indessen war es so«, antwortete ich. »Ein ehrenwerter Kapitän außer Dienst hat es mir erzählt, und ich habe mit eigenen Augen die Narbe auf seiner Wange gesehen, die von der Kugel stammte.«
    Der Franzose begann wortreich und lebhaft zu widersprechen. Der General wollte ihm schon Beistand leisten, aber ich empfahl ihm, wenigstens auszugsweise die »Aufzeichnungen« des Generals Perowskij zu lesen, der sich im Jahre zwölf in französischer Gefangenschaft befunden hatte. Endlich mischte sich Marja Filippowna ein, um unserer Unterhaltung ein Ende zu machen. Der General war äußerst unzufrieden mit mir, denn der Franzose und ich hatten einander beinahe angeschrien. Mister Astley dagegen schien an meinem Streit mit dem Franzosen großen Gefallen zu finden; als man sich vom Tisch erhob, schlug er vor, gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Abends gelang es mir, eine Viertelstunde mit Polina Alexandrowna zu sprechen. Unsere Unterhaltung fand auf einem Spaziergang statt. Alle promenierten durch den Park zum
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