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Der Sonntagsmann

Der Sonntagsmann

Titel: Der Sonntagsmann
Autoren: Kanger
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vom Boden auf. Zwei Umschläge mit Reklame. Eine Rechnung. Und ein Brief mit einer handgeschriebenen Adresse. Weiß, klein und mit einer undeutlich abgestempelten Briefmarke.
    Ihr Name und ihre Adresse mit blauer Tinte. Kein Absender. Nur ihr Name und ihre Adresse.

ERSTER TEIL
COUNTDOWN

4. KAPITEL
    So kann das nicht weitergehen. Ich muss mich zusammenreißen.
    Elina Wiik starrte aus dem Fenster ihres Büros im Polizeipräsidium. Vor ihr stapelten sich die Ordner mit ungelösten Fällen. Jeder einzelne schien sie anzuklagen.
    Acht Monate waren vergangen, seit Elina Annika Liljas und Jamal Al-Sharifs Mörder gefasst hatte. Das war 2003 gewesen, am Tag vor Heiligabend.
    Anfänglich hatte sie sich noch rational verhalten, als wäre nichts passiert, als könnte sie auch weiterhin Polizistin bleiben, ohne dass sich etwas verändert hatte. Dass ihr Leben bedroht wurde, tangierte sie nicht, schließlich war es nicht das erste Mal. Die Animositäten innerhalb des Präsidiums perlten an ihr ab. Ihre psychische Verfassung war unerschütterlich. Ein weiterer goldener Stern in ihrem Lebenslauf, etwas mehr Aufmerksamkeit von Seiten der Medien, das war alles.
    Dann war in ihrem Privatleben Tabula rasa gemacht worden. Danach war ihr alles entglitten. Oder vielleicht hatte sie auch freiwillig losgelassen, nachgegeben, sich treiben lassen. Nur der Autopilot hatte sie davor bewahrt, jenseits des Horizonts zu verschwinden.
    Es war nicht einmal eine Qual gewesen. Eher interessant. Manchmal hatte sie es sogar genossen. Es hatte sie immer gereizt, ihre inneren Türen zu öffnen, doch sie war jedesmal davor zurückgeschreckt. Der Frühling und der Sommer waren wie ein stürmisches Meer gewesen, und sie hatte noch keinen festen Boden unter den Füßen.
    Jetzt war der Sommer zu Ende, es war bald September, aber immer noch warm. Wie gewohnt war sie früh auf, sie hatte noch größere Schlafprobleme als früher. Jeden Morgen machte sie einen Spaziergang. Eine halbe Stunde, manchmal länger. Das war die schönste Zeit des Tages. Um halb acht hatte sie ihre Bürotür aufgeschlossen und sich an den Schreibtisch gesetzt. Vermutlich würde dieser Tag genau wie der vorhergehende verlaufen. Sie wusste, dass sie sich endlich wieder in den Griff kriegen musste, hatte aber keine Ahnung, wie.
     
    Es klopfte leise, und sie rief: »Herein!« John Rosén öffnete die Tür. Er war Chef für die Ermittlungen der »Mordgruppe«, einer Spezialeinheit, die die komplizierteren Mordfälle in der Provinz lösen sollte. Er schloss die Tür hinter sich und hielt inne. Elina fand, dass er irgendwie bedrückt wirkte. »Hast du schon gehört?«, fragte er. Elina schüttelte den Kopf. Sie hatte nichts von dem gehört, was John ihr offenbar zu berichten hatte. Ein neuer Mordfall? Elina spürte ein erwartungsvolles Kribbeln.
    »Es geht um Kärnlund. Er hatte einen Herzinfarkt.«
    Elina griff sich an die Brust.
    »Er hat ihn überlebt«, fuhr Rosén fort, »aber ich glaube, es ist ziemlich schlimm.«
     
    Egon Jönsson konnte bei der Acht-Uhr-Besprechung Genaueres berichten. Es war am Vorabend gegen zehn passiert. Oskar Kärnlund war plötzlich vor dem Fernseher zusammengesackt. Der Krankenwagen war schnell zur Stelle gewesen, was ihm das Leben gerettet hatte. Sein Zustand war jedoch kritisch.
    Sie sammelten Geld für einen Blumenstrauß, 280 Kronen. Die vierzehn anwesenden Kriminalbeamten entschieden, dass Jönsson, Kärnlunds Nachfolger als Dezernatschef, und Elina Wiik, die einzige Frau ihrer Einheit, so bald wie möglich ins Krankenhaus fahren sollten. Elina versprach, sich um die Blumen zu kümmern.
    Beim Verlassen des Präsidiums wurde sie von John Rosén eingeholt. »Ich begleite dich in den Blumenladen«, sagte er.
    Sie gingen über den Svartån Richtung Zentrum zu dem Blumengeschäft im umgebauten Domushaus. Es war ein strahlend schöner Morgen mit berauschend klarer Luft, einer dieser allerersten Herbsttage. Aber die zufriedenen Gesichter der Passanten ärgerten Elina. Wussten die denn nicht, was passiert war?
    »Das ist so schrecklich, dass es mir die Sprache verschlägt«, meinte sie. »Er ist doch erst vor einem halben Jahr in Rente gegangen. Er darf einfach noch nicht sterben. Das wäre nicht gerecht.«
    »Kärnlund ist so schnell nicht kleinzukriegen«, erwiderte Rosén. »Ein Herzinfarkt bringt so einen Mann nicht gleich um. Er wird es schon schaffen.«
    Elina schüttelte den Kopf. »Ich fahre gleich hin. Ich werde so lange dort sitzen bleiben, bis die
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