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Der Sonntagsmann

Der Sonntagsmann

Titel: Der Sonntagsmann
Autoren: Kanger
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als er sich, ohne das Tempo zu drosseln, zu ihr umdrehte. »Old town. Hanoi old town«, sagte er. Sie nickte und wünschte, er würde geradeaus schauen, statt den Fremdenführer zu spielen. Einige Häuserblöcke weiter hielt er, deutete auf eine Tür und sagte: »Hostel.«
    Neben der Tür hing ein Schild in Druckbuchstaben: »LOVE PLANET.« Kari gab dem Mann mit dem Motorrad die drei Dollar, die er sich verdient hatte, und trat ein. An der kleinen Rezeption saß eine Frau. Sie beantwortete Karis Frage nach einem freien Zimmer nicht, sondern drehte sich um und nahm einen Schlüssel von einem Haken. »Toilet in corridor. Pay in advan’ plea«, sagte sie und hielt ihr den Schlüssel hin.
    Das Zimmer war klein und mit einem Bett, einem Tisch und einem Stuhl möbliert. Kari streckte sich auf dem Bett aus. Sie sehnte sich weit weg, obwohl das hier schon weit weg für sie war. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sie sich hierher, an das Ziel ihrer Träume, gesehnt. Als sie von Stockholm aufgebrochen war, hatte dies die Reise werden sollen, auf der sie sich endlich selbst finden würde. Sie hatte das Gefühl, von ihrer Umwelt abgeschnitten zu sein, ablegen wollen. Sie reiste allein, aber sie wollte Menschen treffen, die sie sahen. Sie würde alles besser verstehen. Aber die echte Kari Solbakken wollte in dieser fremden Umgebung nicht zum Vorschein kommen.
    Das Bett war unbequem, oder taten ihr ohnehin schon die Knochen weh? Sie setzte sich auf und grub mit der Hand in einem der Fächer ihres Rucksacks. Schließlich fand sie einen kleinen, weichen, braunen Würfel. Sie zerkrümelte ihn und stopfte sich damit eine Pfeife. Sie trat an das kleine Fenster, öffnete es und zündete die Pfeife an. Der Rauch in den Lungen betäubte ihre Unruhe.
     
    Sie erwachte erst am Spätnachmittag. Es dauerte eine Weile, bis sie wusste, wo sie war. Alle Zimmer, in denen sie während der letzten zwei Monate übernachtet hatte, sahen ungefähr gleich aus. Am Fußende des Bettes lag ein zerschlissenes Handtuch. Das musste reichen, da ihr eigenes immer noch feucht war. Sie trat auf den Korridor. Die Dusche lag am anderen Ende neben der Gemeinschaftstoilette. Als das Wasser auf ihre Haut rieselte, fühlte sie sich etwas besser.
    Anschließend zog sie langsam die Bürste durch ihr schulterlanges, blondes Haar. Sie sah sich im Spiegel in die Augen und begegnete einem verständnislosen Blick, dem alles Angst machte. Es war der Blick eines Kindes, jedoch ohne kindliche Freude an Entdeckungen. Das Gesicht wirkte mit seiner Stupsnase jünger als fünfundzwanzig. Die schmalen Brauen waren in einem hübschen Bogen geformt. Die Oberlippe war schmal, die Unterlippe dafür sehr ausgeprägt. Die Sonne hatte ihr sonst stets blasses Gesicht gebräunt.
    Sie nahm ein Paar Shorts aus ihrem Rucksack, das nicht allzu schmutzig war. Sie trat auf die Straße und schlug eine Richtung ein, ohne zu wissen, wo sie hinführte. Die Bürgersteige waren mit Motorrädern zugeparkt, die die Fußgänger auf die Straße zwangen. Das Gedränge auf der Straße war groß. Frauen jeden Alters trugen mit wiegenden Schritten zwei schwere Körbe an einem Joch auf den Schultern. Kleine Jungen rannten herum und versuchten, hellhäutigen Ausländern Ansichtskarten und Lonely-Planet-Reiseführer anzudrehen, und zwar jenen hellhäutigen Ausländern, die nach billigen Dienstleistungen verlangten, sich dann aber nicht damit abfinden konnten, als Geldbeutel auf zwei Beinen behandelt zu werden.
    Ein Schlepper rief » welcome, good vietnamee food « und Kari trat ein. Sie erklomm eine schmale Treppe und trat auf eine Terrasse mit einfachen Tischen. Die Klientel bestand aus Ihresgleichen, aus Rucksacktouristen, die Geborgenheit in der Gesellschaft der anderen suchten. Ein Kellner legte eine Speisekarte auf ihren Tisch, und sie bestellte Frühlingsrollen und eine Suppe. Ihr Magen schmerzte vor Hunger und sie hoffte, dass das Essen rasch serviert wurde.
    »Hallo.«
    Sie sah auf. Ein Bursche mit Pferdeschwanz und Sonnenbrille. Er lächelte. »Ich heiße Jack. Darf ich mich dazusetzen?«
    Kari nickte. Er bestellte zwei Bier, eins für sich und eins für sie. »Woher kommst du?«, fragte er und nahm die Sonnenbrille ab.
    Fünf Fragen, dachte Kari. Das übliche Spielchen der Rucksacktouristen. Dann fragt er mich, wo ich schon war, wie es mir in Saigon, Na Trang, Hoi An oder Hue gefallen hat, wohin ich noch will und wie viel Geld ich für die Reise habe. Dann wird er sich endlos über alle Widrigkeiten
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