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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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Häuflein Polizisten in Ruhe lassen, während wir hier rumsitzen und uns die Kleider vollschwitzen.«
    Kaum hatte er den Satz beendet, klopfte es an der Tür. Im Türspalt erschien die Adlernase Ardisios, der in der Telefonzentrale Dienst hatte.
    »Commissario, Brigadiere, verzeihen Sie die Störung. Wir haben einen Anruf aus Santa Maria La Nova erhalten, es wurde eine Leiche gefunden.«
    Niedergeschlagen erhob Maione sich von seinem Stuhl.
    »Es wär ja auch zu schön gewesen, wenn nichts passiert wäre. Ja nun, Commissario, wenn man sich das Unglück auch herbeiwünscht …«
    Ricciardi hatte schon seine Jacke angezogen.
    »Lass die Scherze, Maione. Versuchen wir, wenigstens hier drinnen nicht abergläubisch zu sein. Ardisio, schick nach einem Fotografen und dem Gerichtsmediziner, sieh mal, ob Doktor Modo da ist. Gib ihm die Adresse und sag ihm, wir würden uns vor Ort treffen. Maione, ruf du zwei Polizisten. Wer hat heute Dienst?«
     
    Die Sonne brannte mittlerweile erbarmungslos vom Himmel. Der Teil der Piazza del Municipio, der nicht unter den Kronen der Steineichen lag, war wie leergefegt, und nur hin und wieder fuhr eilig ein Auto vorbei. Die wenigen Fußgänger hielten sich im Schatten der Häuser wie des Mercadante Theaters oder des Hotel de Londres, auch wenn es für sie einen ziemlichen Umweg bedeutete. Selbst vom Hafen her drang keinerlei Geräusch herüber, nur das leise Schwappen des Meeres.
    Das mobile Einsatzkommando bewegte sich gewöhnlich zu Fuß, denn motorisierte Transportmittel waren im Präsidium Mangelware. Außerdem lag das Ziel nicht weit entfernt, und laut den von Ardisio am Telefon erhaltenen Informationen war das, was geschehen sollte, ohnehin schon geschehen und es gab nichts weiter zu verhüten. Ricciardi wusste nur zu gut, dass wenig Hoffnung bestand, einen Tatort vorzufinden, an dem noch nicht alle wichtigen Spuren zerstört worden waren, sofern man nicht sogleich an Ort und Stelle war. In einer Stadt, in der jeder seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten steckte, hätte zwar niemand je zugegeben, etwas gesehen zu haben, doch alle versuchten, behilflich zu sein, indem sie Dinge verschoben, Gefundenes auflasen und an Leichen rumhantierten. Also konnte man sich ebenso gut Zeit lassen und seine Kräfte aufsparen, um dann gemäß der besonderen Vorgehensweise Ricciardis so viele Informationen wie möglich zu sammeln.
    Zur Piazza Santa Maria La Nova gelangte man am besten über die Via Emanuele Filiberto di Savoia, die vom Volk, das den neu angebrachten Marmortafeln keine Beachtung schenkte, immer noch Via Medina genanntwurde, wie sie Jahrhunderte lang geheißen hatte. Auf der Schattenseite reihten sich alte, elegante Adelspaläste; direkt dahinter erstreckte sich ein verschlungenes Gassengewirr bis hinunter zum Meer. Die Bewohner dieser auch tagsüber düsteren Sträßchen waren nicht gemeldet, konnten weder lesen noch schreiben und lebten im Untergrund – nach ihren eigenen Regeln, die das Gesetz nicht kannte.
    Sobald der von Ricciardi angeführte Trupp, bestehend aus ihm selbst, einem keuchenden Maione und den beiden Polizisten Camarda und Cesarano, irgendwo vorbeiging, sah man Schatten in den schmalen Durchgängen zwischen den Häusern hin und her huschen in dem Bemühen, ihre diversen Händel zu kaschieren.
    Die in pralles Sonnenlicht getauchte gegenüberliegende Straßenseite war menschenleer. Zumindest fast. Ricciardi sah das Abbild eines Toten vor einem der Eingangstore stehen. Er erinnerte sich an den Fall: Vor ein paar Monaten hatte man morgens seine Leiche gefunden, zu Tode geprügelt, mit Fäusten, Tritten und einem stumpfen Gegenstand traktiert, vielleicht einem Stock. Der oder vielmehr die Mörder hatten lange gegen ihr Opfer gewütet. Erstaunlicherweise – oder angesichts des herrschenden Zeitgeistes auch gar nicht erstaunlich – hatte die Familie keine Anzeige erstattet und stattdessen behauptet, der Mann sei gefallen; als ob es möglich wäre, sich bei einem Sturz den Kopf zu spalten wie eine Melone. Doch der Vizepolizeipräsident, der die Archivierung des Falls verfügte, hatte gesagt: Wenn zwei Familienmitglieder, ein Bruder und ein Cousin, dabei gewesen waren und in diesem Sinne Zeugnis ablegten, gab es nichts weiter zu untersuchen. Cimmino, Ricciardis alter Kollege, der mit den Ermittlungen betraut gewesen war, folgte nur zu gerne Garzos Anweisungen, nicht nur, um ihm gefällig zu sein, sondern auch, weil der Tote, ein Arbeitsloser, in dem Ruf gestanden hatte,
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