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Der Sommer des Commisario Ricciardi

Der Sommer des Commisario Ricciardi

Titel: Der Sommer des Commisario Ricciardi
Autoren: Maurizio de Giovanni
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ein aktiver Regimegegner gewesen zu sein.
    Nun aber, während er eilig durch die Hitzewolke voranschritt, in der die Häuserfassaden zu zittern schienen, sah Ricciardi den Mann rege und entschlossen dastehen, mit aufgedunsenem bläulichem Gesicht, gebrochenem Schädel, aus dem ihm das Blut über die Augen lief, und eingeschlagenen Zähnen. Sein Mund, eine schwarze klaffende Wunde inmitten des Gesichts, formte in unendlicher Wiederholung einen überraschend deutlichen Satz: »Ihr Narren, ihr seid doch bloß vier armselige Narren. Vier gegen einen, ihr solltet euch schämen, ihr Narren.«
    Sie erreichten ihr Ziel, gerade als die Kirchenglocke zur Neun-Uhr-Messe läutete. Der Platz trug noch die Spuren des Festes vom vergangenen Abend, ein Haufen verbranntes Holz lag in seiner Mitte und überall flog altes Papier herum. Ricciardi schaute Maione fragend an, der ihm erklärte:
    »Das Fest der Santa Maria Regina, Commissario. Eine Tradition, das ist jetzt der Monat der Feste. Sehen Sie nur, wie viele Tüten, was haben die nur heute Nacht alles gegessen …«
    Genau gegenüber der Kirche befand sich das Portal eines alten Herrenhauses, und ganz offensichtlich hatte sich die Schandtat dort ereignet: Vor dem Portal hatte sich eine kleine tuschelnde Menschenmenge versammelt, um Neuigkeiten zu erfahren. Die Glocke läutete noch, dochniemand bewegte sich in Richtung Kirche. Schließlich fand die Messe jeden Sonntag statt, ein Mord aber ereignete sich viel seltener. Sollte man annehmen.
    Die Ankunft der Polizei erregte Neugier und Unbehagen; alle wollten sehen, was nun passieren würde, alle hatten etwas zu verbergen. Maione ging voran und verschaffte sich mit den Armen Platz.
    Das Tor war zur Hälfte geschlossen. Auf der Schwelle stand gleichsam als Schutzschild vor den neugierigen Blicken ein schmächtiger, kleiner Mann in Livree. Sobald er Maione bemerkte, grüßte er ihn erleichtert.
    »Endlich, da sind Sie ja, bitte treten Sie ein, hier ist das Unglück passiert.«
    Die Stimme des Mannes war schrill und fast weiblich; ein Junge aus der Menschenmenge äffte ihn nach und ein paar Leute lachten. Der Mann schien es zu merken, denn er schwitzte ausgiebig unter dem zu breiten Hut, der ihm bis zur Wurzel seiner riesigen Nase reichte. Er war verwirrt. Maione fragte ihn:
    »Wer sind Sie?«
    Sofort nahm er Habachtstellung ein und deutete einen militärischen Gruß an, der bei anderer Gelegenheit lächerlich gewirkt hätte.
    »Giuseppe Sciarra. Zu Ihren Diensten, Brigadiere. Ich bin der Pförtner des Hauses im Dienste der Herrschaften, des Herzogs und der Herzogin Musso di Camparino.«
    Die Wirkung dieser pompösen Vorstellung wurde durch das drollige Stimmchen zerstört, das prompt wieder von dem unbekannten Nachäffer in der Menge imitiert wurde, was weiteres und diesmal einstimmiges Gelächter hervorrief. Maione drehte sich erbost um:
    »Wir scheinen uns ja köstlich zu amüsieren, was? Dann schauen wir doch mal, wer zu uns aufs Präsidium kommen möchte, um den Witzbold zu spielen. Camarda, nimm ein paar Namen auf, ich hab wirklich Lust, auch einmal zu lachen. Am liebsten lache ich, wenn die anderen weinen.«
    Es trat Stille ein, und manch einer entfernte sich besorgt ein paar Meter. Ricciardi wandte sich an das Männlein.
    »Ich bin Kommissar Ricciardi. Bitte lassen Sie uns durch.«
    Sciarra nahm den Hut ab und entblößte damit sein schütteres Haar. Auch trat die Nase, die sein ganzes Gesicht ausfüllte, jetzt umso deutlicher hervor.
    »Bitte sehr, Commissario, treten Sie ein. Im Hof warten meine Frau, die als Dienstmädchen arbeitet, und die Haushälterin, die Sie zum … Sie dorthin bringen werden, wo es passiert ist, wollte ich sagen. Ich bleibe hier und lasse niemanden durch.«
    Ricciardi wollte allerdings alle Personen um sich haben, die mit Informationen dienen konnten.
    »Nein, bitte begleiten Sie uns. Keine Sorge, die Wachmänner bleiben hier am Eingangstor.«
    Der kleine Mann verzog das Gesicht. Er hätte es gern vermieden, sich noch einmal dem zu nähern, was wohl ein hässliches Schauspiel sein musste.
    »Zu Befehl, Commissario. Bitte folgen Sie mir.«

    V    Wasser. Bei dieser bestialischen Hitze brauchen die Pflanzen sehr viel Wasser. Die Arbeit eines ganzen Jahres,all die Mühe und Pflege könnten umsonst gewesen sein, wenn man sie jetzt nicht reichlich gießt. Die Sonne, sonst unverzichtbar, wird im Sommer zum erbarmungslosen Feind: Sie saugt alle Energie aus den Blättern, wie sie auch den Menschen die Kraft
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