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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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Faß, in dem ein ganzes Schwein Platz hatte, wenn es ans Schlachten ging.
    »Verkauft das Zeug. Das taugt nichts«, riet Aggie und lud sich den Teller voll.
    »Nein«, sagte Ben. Viel zu laut. Das merkte er sofort. Katie und Aggie starrten ihn an. »Nein«, sagte er noch einmal, leiser diesmal.
    Nach dem Essen ging er hinaus. »Muß noch im Schuppen arbeiten«, brummte er.
    Die zwei Frauen bereiteten die Brühe für Mama zu, genau wie Doc Bates sie angewiesen hatte. Sie trugen die Schüssel ins Schlafzimmer. Zwecklos. Katrin lag noch immer tief in ihrem Drogenschlaf. Katie war jetzt von größerer Unruhe erfüllt als bei der Ankunft.
    »Wie soll sie gesund werden, wenn sie nichts essen darf?«
    Sie setzte sich neben Ma aufs Bett und streichelte die Stirn ihrer Mutter. Das einstmals üppige schwarze Haar – eigentlich sonderbar bei einer Skandinavierin – war fast weiß.
    Aggie zog die Gardinen beiseite und sah aus dem Fenster.
    »Was treibt Papa eigentlich da draußen im Schuppen?« fragte Katie.
    Aggie schien unsicher, ob sie reden sollte oder nicht.
    »Weißt du, was Mama eigentlich zugestoßen ist?«
    Wieder sah Aggie aus dem Fenster, zog die Schultern hoch, lächelte.
    »Nur eine Frage auf einmal, Schätzchen.« Sie setzte sich auf den Stuhl neben dem Nachttisch, auf dem die Schüssel mit der dampfenden Suppe stand. »Nun, ich wünschte, ich wüßte es. Über den Schuppen weiß ich nichts. Aber vielleicht über deine Mama …«
    Aggie hielt inne und warf einen Blick auf die Liegende, aufs Fenster, auf die Tür. »Sie hatte schreckliche Angst vor irgend etwas, das kann ich dir sagen.«
    Sie reckte sich, stolz, daß sie es gesagt hatte, daß sie etwas Geheimes, aber ebenso Gefährliches und Wichtiges enthüllt hatte. Katie war so erschrocken, daß sie erst nach einigen Augenblicken fragen konnte:
    »Wovor? Wovor hatte sie Angst?«
    »Das weiß ich nicht. Ehrlich, keine Ahnung. Aber sie sagte es mir.«
    »Sie sagte …?«
    »Oder versuchte es. Da bin ich sicher. Und wäre ich bloß gescheiter gewesen …«
    »Aggie!« flehte Katie. Das Geschwätz der Frau machte sie ungeduldig. »Sag doch schon!«
    »Na gut«, sagte die Schwedin mit einem erneuten Blick zum Fenster – fürchtete sie den alten Ben? »Es war Anfang Juni. Oder Ende Mai, jawohl, weil ich mein ›Zimmerfrei‹-Schild hinausgehängt hatte, und das tue ich erst um den ersten Juni, also -«
    »Bitte, Aggie!«
    »Entschuldige, Liebes. Mein Gedächtnis läßt immer mehr nach. Kein Wunder in meinem Alter. Es war nachmittags, ein schöner Tag, deine Mutter kam herüberspaziert. Hat mich nicht wenig gewundert, weil sie das nur selten tat. Ich arbeitete draußen in den Blumenbeeten, richtete mich auf und begrüßte sie. ›Hallo‹, sagte sie und lächelte. Kein echtes Lächeln, sondern reichlich nervös. Deine Mutter war eigentlich immer eher schüchtern.«
    »Ich weiß«, sagte Katie. Das einsame Leben im abgeschiedenen Norden erschwert es einem, angeborene Zurückhaltung zu überwinden und bietet dazu auch wenig Möglichkeiten.
    »Ich sage also zu ihr ganz offen, wie es meine Art ist: ›Katrin, du siehst spitze aus.‹ Sie hörte es gar nicht, sah immer nur die Blumen an und flüsterte: ›Schön sind sie, wunderschön.‹ Und ich sage: ›Alles in Ordnung?‹, und auch das hörte sie nicht. Mit einem Blick in die Ferne zu Otto Ronskys Besitz oder sonstwohin sagt sie: ›Das alles wird in hundert Jahren auch noch sein. So wie es vor hundert Jahren war …‹, und sie starrt und starrt. Dann erst sieht sie mich an mit einem sonderbaren Blick – so daß ich den Eindruck bekomme, daß sie Angst hat – und sagt ganz deutlich: ›Es kann nicht funktionieren. Es kann einfach nicht gehen.‹«
    »Was? Was denn?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte Aggie mit abwehrender Handbewegung.
    Beide sahen sie hinunter auf die bleiche, schlafende Frau. Es bestand keine Möglichkeit herauszufinden, was sie gemeint hatte. Und Katie wußte, daß Menschen, die einen Schlaganfall erlitten, vorher oft seltsame »Zustände« hatten, die in der Arterienverkalkung und geringeren Blutzufuhr zum Gehirn ihre Ursache hatten. Dennoch. Irgend etwas lastete fühlbar und nervtötend auf dem Haus, auf den wogenden Feldern.
    »Hat Mama dir geschrieben?«
    »Selten«, gestand Katie. »Jeden zweiten Monat etwa. Sehr vertraut waren wir nicht. Der letzte Brief kam im April, so um Ostern herum.«
    Aggie kniff die Augen zusammen. »Stand … etwas … Ungewöhnliches in diesem Brief?«
    »Das
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