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Der Sommer der Toten

Der Sommer der Toten

Titel: Der Sommer der Toten
Autoren: Michael T. Hinkemeyer
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und in dem nun die alte Mrs. Rasmussen auf den Tod wartete. Und natürlich Barneys Wohnwagen, der alte Ford-»Einsatzwagen«, der daneben geparkt war. Barney war der Dorfpolizist. Der Ford ging nur selten auf Fahrt, ebenso Barney – denn wohin hätte man auch fahren sollen?
    Ja, sicher war es das, was ich fühlte, dachte Katie. Hier gibt es kein Ziel. Dieser flüchtige Gedanke tauchte ganz plötzlich auf, als David am verlassenen Baseballplatz vorüberbrauste, wieder hinaus aufs freie Land. Der Zaun an der Grundlinie war in sich zusammengesunken, Unkraut wucherte auf dem inneren Spielfeld und um die Schlägerfelder, Unkraut hatte auch den Wurfkreis überwuchert. Das Dorf hatte einst eine Amateurmannschaft für die Sonntagnachmittagsspiele auf die Beine gestellt. Das war vorbei. Es gab zu wenig Spieler. Die jungen Leute waren fort.
    David donnerte die Schotterstraße entlang, und die Farm kam in Sicht, verwilderter als Katie sie in Erinnerung hatte. In der Spätnachmittagssonne schimmerte der Fox Lake. Und drüben, wo der See endete, die großen roten Scheunen und die drei weißen stahlgedeckten Silos von Otto Ronsky. David bremste und bog in die Zufahrt ein. Über die polternde Brücke. Weiden längs des Baches, rotgeflügelte Amseln, Rotkehlchen, Spatzen, Drosseln, Lerchen. Weiter ging es, die von dichten Hecken gesäumte Zufahrt entlang. Sie war wieder daheim, und da war Mama und all das.
    Die Sonne beeilte sich nun über der Westweide, den »Letzten Vierzig«, und der Schatten der Scheune legte sich über die Autos im Hof: den uralten Packard von Doc Bates, über Aggies Model T und Papas Vorkriegs-de Soto. Und den starken roten Mustang mit den breiten Reifen, den sich Katie und David zur Feier des bestandenen Examens geleistet hatten.
    Jetzt öffnete Doc Bates die Tür des Packards, stellte die schwarze Tasche auf den Sitz und blieb, einen Fuß bereits im Wagen, stehen.
    »Ben, ich glaube, es wird alles gutgehen«, sagte er mit einem Blick auf Katie.
    Katie hörte ihren Vater etwas murmeln. Es wäre nicht mehr so viel Zeit, oder ähnlich.
    »Zeit ist es gerade, was du dafür kriegst«, antwortete der Doktor. »Sieh diese beiden an.«
    Er deutet auf Katie und David, nagelte sie mit seinem Knochenfinger fest.
    »Wenn sie es miteinander treiben, wie es junge Leute bei jeder Gelegenheit tun, dann erscheint es ihnen wie wenige Minuten. Auch wenn sie tatsächlich eine ganze Stunde lang gerammelt haben.«
    Er ließ sein rauhes, humorloses Lachen ertönen.
    Katie errötete. »Sie sind so feinfühlig wie immer«, sagte David und trat verlegen von einem Fuß auf den anderen.
    Doc Bates ließ die Hand fallen.
    »Die Zeit existiert nicht mehr, wenn du in ihr steckst, stimmt’s, junger Mann?« bohrte Doc Bates weiter. »Und wenn ihr ein paar Stunden getrennt seid, erscheint es euch wie ein ganzer Tag. Oder gar eine Woche. Habe ich recht, Katie?« fragte er und entblößte dabei seine ebenmäßigen falschen Zähne.
    Katie beherrschte sich mühsam. Sie ekelte sich. Doc Bates schüttelte traurig den Kopf.
    »Jaja, Ben, die alten Tage waren großartig, wie?«
    »Sie sind ein dreckiger alter Kerl. Jemand muß Ihnen mal ordentlich die Meinung sagen«, schalt Aggie ungehalten.
    »Wollte nur zeigen, was ich mit Zeit meine«, sagte er zu Ben. »Es wird gehen.«
    »Sie meinen Mama?« fragte Katie. Falls die Antwort ungünstig ausfallen sollte, wollte sie es gar nicht wissen. Und doch mußte sie es wissen. »Wie lange wird es dauern?«
    Den Arzt schien die Frage zu überraschen.
    »Ach, deine Mutter?«
    »Ja, ist denn nicht von ihr die Rede?«
    »Ach ja, ja. Natürlich. Mach dir bloß keine Sorgen um deine Mutter. Sie wird ihre Rolle tadellos spielen.«
    Ihre Rolle? Was war das? Katie wagte einen erneuten Vorstoß: »Ich möchte bloß wissen, wie lange sie noch zu leben hat.«
    Doc Bates dachte nach. »Kann ich nicht sagen.«
    Will ich nicht sagen.
    Der Packard umrundete den Hof, wirbelte Staub auf. Erstaunlich, Old Robert kläffte ein paarmal und schnappte sogar nach einem sich drehenden Reifen.
    »Was ist denn in den gefahren?« fragte Aggie Jensen verwundert. »So habe ich ihn nicht erlebt, seit sieben, acht Jahren.«
    »Wenn Sie nicht schleunigst das Abendbrot auf den Tisch bringen, werde ich noch straffällig«, knurrte Ben Jasper.

 
V
     
     
    David mußte sich mit einem hastigen Sandwich und einer Tasse Kaffee begnügen, weil er Freitag morgens bei Gericht zu tun hatte und die ganze Strecke nach Minneapolis noch schaffen
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