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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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Minister vor Zufriedenheit sabbert, gehst du hin und vermöbelst den Einzigen, den wir noch nicht haben hochnehmen können.«
    Héctor trank einen Schluck Wasser und zuckte die Achseln. Er war die Frage leid und wechselte lieber das Thema:
    »Habt ihr eigentlich etwas gefunden? Ich meine, in der Praxis.«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Andreu, bitte«, insistierte er, etwas leiser jetzt.
    »Ehrlich gesagt, nur wenig. Das Seltsamste ist vielleicht die versteckte Überwachungskamera. Wie es scheint, hat Dr. Omar gerne Aufnahmen von seinen Besuchern gemacht. Und dann das mit dem Blut. Menschliches, würde ich sagen. Ich habe es ins Labor geschickt, morgen bekommen wir die Ergebnisse. Der Schweinekopf ist eindeutig eine Botschaft. Ich frage mich nur, für wen, und was sie bedeutet.« Sie goss den Kaffee in ihr Glas mit Eis, ohne einen Tropfen zu verschütten. »Ich sage dir noch etwas, aber versprich mir, dass du dich raushältst«
    Héctor nickte mechanisch.
    »Nein, ich meine es ernst, Héctor. Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich auf dem Laufenden halte, wenn du versprichst, dich nicht einzumischen.«
    Er legte die Hand auf die Brust und machte ein feierliches Gesicht.
    »Ich schwöre.«
    »Das Herz ist auf der anderen Seite, Blödmann.« Sie musste fast lachen. »Also, dieser Doktor hatte einen Aktenschrank. Er war leer. Na ja, fast, es gab einen Hefter, mit deinem Namen.«
    Er schaute sie verwundert an.
    »Und was war drin?«
    »Nichts.«
    »Nichts? Wer lügt da jetzt?«
    Martina seufzte.
    »Nur zwei Fotos. Eins von dir, neueren Datums. Das andere von ... Ruth mit Guillermo, von vor Jahren. Als er noch ein Kind war. Weiter nichts.«
    »So ein Drecksack!«
    »Héctor, ich muss dich etwas fragen.« Aus Andreus Augen sprachen leiser Kummer und große Entschlossenheit. »Wo warst du gestern?«
    Er zuckte zurück, als wäre etwas auf seinem Teller explodiert.
    »Reine Routine, Héctor ... Mach es mir nicht noch schwerer«, sagte sie fast flehend.
    »Lass mich überlegen ... Das Flugzeug ist kurz nach drei gelandet, und ich musste noch zur Gepäckermittlung, wo ich mindestens eine Stunde zugebracht habe. Dann habe ich ein Taxi genommen und bin nachhause gefahren. Ich war völlig alle.«
    »Das glaube ich«, sagte Martina. »Und du bist nicht noch einmal hinausgegangen?«
    »Ich bin zuhause geblieben, allein. Mehr als mein Wort kann ich dir nicht geben.«
    Sie schaute ihn ernst an.
    »Dein Wort genügt mir. Das weißt du.«

4
    Die Hitze hatte an diesem Nachmittag eine Feuerpause eingelegt, und ein paar niedrige Wolken verdeckten die Sonne. Héctor beschloss, laufen zu gehen. Wenn sein Gehirn schon zu erschöpft war, um noch etwas zu leisten, war Bewegung die einzig funktionierende Selbsttherapie. Während er über die Strandpromenade joggte, schaute er aufs Meer. Um diese Uhrzeit waren nur noch wenige Menschen am Strand, kleine Gruppen, die die Sonne bis zum letzten Strahl auskosten wollten, dazu ein paar Badende, die das Meer fast für sich hatten. Die Strände in der Stadt waren anders, sagte sich Héctor, wobei er das Zwicken in der linken Wade zu ignorieren versuchte, sie waren absolut nicht paradiesisch, auch nicht erholsam, vielmehr ein Laufsteg mit Discomusik, auf dem die Leute ihre Bräune, wippenden Brüste oder Waschbrettbäuche zur Schau trugen. Wer den Schönheitsklischees nicht entsprach, suchte sich ein weiter abgelegenes Stück Sand. Doch gegen Abend, wenn der Strand halb leer war, galt das für die Promenade nicht mehr: überall Paare mit Kindern, Jungen und Mädchen auf Fahrrädern, Jogger wie er, die herauskamen, sobald die Hitze nachließ, fliegende Händler, die jedes Jahr mit derselben Ware zurückkehrten. In dieser Gegend hatte die Stadt im Sommer das ethnisch angehauchte Flair einer kalifornischen Fernsehserie. Es gab sogar ein paar, die versuchten, auf dem wellenlosen Meer zu surfen.
    Héctor steigerte das Tempo. Inzwischen waren fast zwei Monate vergangen, in denen er keinen Sport mehr getrieben hatte; der Winter in Buenos Aires lud nicht zum Joggen ein, außerdem hatte er sich daran gewöhnt, mit dem Meer zur Seite und den beiden Hochhäusern als Fluchtpunkt zu laufen. Das Wasser war nicht gerade türkisfarben, aber es war das Meer: unendlich, die Verheißung einer tiefen Ruhe. Wieder zog es in der Wade, und er musste verlangsamen, worauf ihn gleich ein Skater, ganz in Schwarz und mit Klamotten, die ihm zwei Nummern zu groß waren, überholte. Héctor kam dabei der Bericht in den Sinn, den Savall
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