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Der Sommer der toten Puppen

Der Sommer der toten Puppen

Titel: Der Sommer der toten Puppen
Autoren: Antonio Hill
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ausschließlich um Guillermo. Der war immer sicheres Terrain, ein Thema, das sie zwangsläufig ansprechen mussten und das sich auf natürliche Weise zwischen ihnen ergab. Seit bald einem Jahr waren sie getrennt, und wenn sie auf etwas stolz sein konnten, dann wie sie die heikle Angelegenheit gegenüber ihrem Sohn gehandhabt hatten, dem dreizehnjährigen Jungen, der sich an eine andere Wirklichkeit gewöhnen musste und es dem Anschein nach ohne große Probleme schaffte. Zumindest auf den ersten Blick.
    Als das Gepäck verstaut war, ein reichlich mitgenommener Koffer mit kaputtem Schloss, der einen Krieg überlebt zu haben schien statt einer Flugreise, fuhr Ruth langsam über die Schnellstraße. Vor ihnen leuchteten die Lichter der Stadt.
    »Wie ist es heute mit Savall gelaufen?«, fragte sie schließlich und wandte sich ihm kurz zu.
    Er seufzte.
    »Ganz gut, nehme ich an. Ich habe immer noch einen Job. Der Typ hat die Anzeige zurückgezogen«, log er. »Wahrscheinlich hat er gedacht, dass es besser wäre, sich nicht mit der Polizei anzulegen. Aber ich muss zum Nervendoktor. Witzig, nicht? Ein Argentinier beim Seelenklempner, mal ganz was Neues.«
    »Warum hast du es getan?«
    Sie schaute ihn an, ohne zu blinzeln, mit diesen großen braunen Augen und einem Blick, der ihm schon immer unter die Haut gegangen war, einem Blick, der die kleinen Lügen aufdeckte und, wenn sie es sich vorgenommen hatte, auch die nicht so kleinen.
    »Lass gut sein, Ruth. Er hat’s verdient«, sagte er, aber dann korrigierte er sich. »Es ist passiert. Ich habe Mist gebaut. Ich habe nie so getan, als wäre ich perfekt.«
    »Weich nicht aus, Héctor. Du hast den Mann genau an dem Morgen … dem Tag verprügelt, nachdem …«
    »Ja. Darf man im Auto rauchen?« Er ließ das Fenster herunter, ein Schwall warmer Luft drang herein.
    »Du weißt, dass nicht.« Sie machte eine genervte Handbewegung.
    Er zündete sich eine Zigarette an und nahm einen tiefen Zug.
    »Gibst du mir eine?«, murmelte sie.
    Héctor lachte.
    »Na toll … Hier, nimm.« Als sie sich die Zigarette ansteckte, erhellte der Schein des Feuerzeugs ihr Gesicht. »Bin wohl keine gute Gesellschaft für dich«, fügte er in lockerem Ton hinzu.
    »Das warst du noch nie. Haben zumindest meine Eltern immer gesagt … Und jetzt sind sie auch nicht gerade begeistert.«
    Sie mussten beide grinsen. Héctor besah sich durch den Qualm die Stadt. Er warf die Kippe hinaus und drehte sich zu Ruth. Sie waren bald da. Mit dem, was sie sich noch zu sagen hatten, hätten sie eine sehr viel längere Fahrt bestreiten können. Sie schaltete herunter, um zu wenden, und hielt im Parkverbot.
    »Eine letzte Zigarette?«, fragte er.
    »Klar. Aber lass uns aussteigen.«
    Es wehte nicht das kleinste Lüftchen. Die Straße war leer, dafür waren die eingeschalteten Fernseher zu hören. Es war Nachrichtenzeit. Der Wettermoderator sagte eine neue Hitzewelle für die nächsten Tage voraus und für das Wochenende eine erhöhte Gewitterwahrscheinlichkeit.
    »Du siehst müde aus. Schläfst du schon etwas besser?«
    »Ich tue, was ich kann. Es war ein ganz schön anstrengender Tag«, sagte er.
    »Héctor, es tut mir leid …«
    »Brauchst dich nicht zu entschuldigen.« Er sah sie an. Er war erschöpft und wusste, dass es das Beste wäre, zu schweigen. Er versuchte zu kokettieren: »Wir haben miteinander geschlafen, mehr nicht. Der Wein, die Erinnerungen, die Gewohnheit. Ich glaube, irgendwann machen dass fünfundachtzig Prozent aller ehemaligen Paare. Wie du siehst, sind wir also guter Durchschnitt.«
    Sie lächelte nicht. Vielleicht, dachte er, hatte er die Fähigkeit verloren, sie zum Lachen zu bringen. Oder sie lachte nicht mehr über dieselben Dinge.
    »Mag sein, aber …«
    Er unterbrach sie.
    »Kein Aber. Am nächsten Tag habe ich dem Kerl die Rübe eingeschlagen, nur hatte das nichts mit dir zu tun.« Sein Ton war nun bitterer, er konnte es nicht vermeiden. »Du kannst also ein ruhiges Gewissen haben …«, er wollte noch etwas anderes sagen, hielt sich aber zurück, »… und die Sache vergessen.«
    Ruth wollte gerade antworten, als ihr Handy klingelte.
    »Du wirst angerufen«, sagte er mit matter Stimme.
    Sie entfernte sich ein paar Schritte. Es war ein kurzes Gespräch, und bei der Gelegenheit nahm er sein Gepäck aus dem Kofferraum und schleppte es zum Haus.
    »Ich muss jetzt«, sagte sie. »Guillermo kommt am Sonntagabend zurück. Es … es freut mich, dass alles gut ausgegangen ist. Auf dem Kommissariat,
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