Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition)
Autoren: Jessica Durlacher
Vom Netzwerk:
Zukunft genauso wie er in der Lage sein werde, die, die mir nahestehen, zu beschützen. Kraft meiner Liebe.
    So magisch möchte ich denken.
    Die Besorgnis meines Vaters erstreckte sich auf uns alle. Meine Schwester, mich mitsamt Mann und Kindern, meine Mutter natürlich, seine Frau Iezebel – wenn auch auf sie etwas weniger, weil sie dazu da war, stark zu sein und meinen Vater in allem, was er tat, zu unterstützen. Dass eben deshalb gerade Iezebel seine größte Besorgnis hätte gelten müssen – denn was wäre er ohne sie? –, diese logische Schlussfolgerung zog Herman Silverstein nie. Daran, dass er sich für eine Frau wie meine Mutter entschieden hatte, konnte man erkennen, dass er ein Überlebender war, ein Pragmatiker, der seinem Instinkt folgte, keinem Urinstinkt, sondern einem Instinkt, der ihm hart in die DNA eingebrannt worden war. Er hatte sich aus Liebe für sie entschieden, aber auch, und vielleicht lief das in seinem Fall auf dasselbe hinaus, weil sie ihm gewachsen war, stark war. Und wenn sie ihm gewachsen war, war sie allem gewachsen. Punkt. Um sie besorgt zu sein, würde alles nur noch schlimmer machen.
    Das galt nicht für die »zarten Pflänzchen« – seine Bezeichnung für Tara und mich –, die er mit Iezebel in die Welt gesetzt hatte. (Und später die gleichermaßen zarten Pflänzchen, die ich in die Welt setzte.)
    Uns zarte Pflänzchen hatte er gezeugt, nachdem die schlechte, böse, kalte Welt, in der schon seine Eltern ermordet worden waren, auch ihm für immer Tageslicht und Gras und Himmel und Sachertorte mit Sahne hatte nehmen wollen. Unsere Geburt forderte die Probleme doch geradezu heraus. Daher hätte Herman uns, wenn es nach ihm gegangen wäre, am liebsten gleich bei unserer Ankunft angekettet in seinem Schreibtisch aufbewahrt, ganz behutsam natürlich, in Lavendelkissen gebettet. Dann hätte er uns von Zeit zu Zeit hervorgeholt, uns etwas Gutes zu essen gegeben und uns dann wieder weggeborgen, wobei unsere Ketten fest in der Wand hinter dem Schreibtisch verankert gewesen wären.
    Herman erblickte in allem, was Tara und ich machten, ob wir nun etwas außer Haus unternahmen oder einfach nur die Treppe hinauf- oder hinuntergingen, sofort die Gefahren, das drohende Unheil, und nur dank seiner Beschwörungen (und der Magie jenes Wortes »Vorsicht!« aus seinem besorgten Mund) blieben wir von allem verschont, was er schon bildhaft vor sich sah.
    So jedenfalls habe ich es verinnerlicht, und dieser Glaube ist mir auch jetzt, Jahre später, da ich diese Geschichte erzähle, immer noch hoch und heilig.
    Wer hat es an Besorgnis fehlen lassen, als Herman starb? Keine von uns jedenfalls, weder seine Töchter noch seine Frau. Tara und ich, die, von der Aufgeregtheit unseres Vaters um unser Wohlergehen behütet, eine ziemlich sorglose Kindheit hatten, kannten eigentlich nur eine wirkliche Sorge, und das war Hermans Gesundheit. Er tat zwar immer, als ob er über alles Menschliche und Irdische erhaben wäre, aber er hing wahnsinnig am Leben und hatte eine Heidenangst vor Krankheit und Tod.
    Ob sich daran in seinen letzten Wochen etwas änderte, kann ich nicht sagen. Mir jedenfalls wurde in jenen Wochen erstmals bewusst, dass es Seiten im Leben meines Vaters gab, ja womöglich sogar in seiner Persönlichkeit, die mir völlig unbekannt waren. Hatte er uns wie immer vor diesen unbekannten Seiten behüten wollen? Oder spielten seine »zarten Pflänzchen« in diesem Zusammenhang einfach keine so große Rolle? Das Einzige, was ich wusste, war, dass die Antwort etwas mit seiner Mutter Zewa, meiner unbekannten Oma, zu tun hatte. Und natürlich mit Wagner. Schon damals fasste ich den festen Vorsatz, ein Buch über Zewa zu schreiben, doch es bedurfte einiger Nackenschläge, bevor die Zeit dafür reif war. »Manifestationen des Bösen« könnte man sie auch nennen.
    Was heute ist, verdanken wir nur dem Vorausgegangenen. Was daraus folgt, ist simpel: Wir leben weiter, wir sind noch da… Die Narben sind in unserem Kopf, und nur Worte können dem Ganzen im Nachhinein einen gewissen Sinn geben. Zusammenhang gleich Sinn gleich eine Form der Akzeptanz.
    Dass die Angst nicht weg ist und wahrscheinlich nie weggehen wird, ist Fakt. Auch daran werden wir uns gewöhnen, auch das Schlimmste wird irgendwann normal.
    Dies ist eine Geschichte mit verzweigten Wurzeln. Wie verzweigt und wie tief sie sind, davon erzählt dieses Buch.
    2
     
    Mein Vater hatte sich bei einem Unfall im Garten die Hüfte gebrochen und zwei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher