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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition)
Autoren: Jessica Durlacher
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Erscheinen dieses Buches, viele Jahre später, wurde er zum Ehrenbürger ernannt.
    »Jetzt stehe ich auf einer Liste mit Adolf Hitler!«, höhnte mein Vater damals. Das traf zu. Nur war Adolfs Name auf der Liste der Ehrenbürger durchgestrichen – gelöscht werden durfte er nicht.
    Die Ehrenbürgerwürde war nicht schlecht für einen, der als jüdischer Junge sogar von den Lehrern seines Gymnasiums schikaniert und ausgegrenzt worden war. In dieser neuen Eigenschaft hielt Herman danach noch eine Reihe von Vorträgen, bei denen des Öfteren alte Schulkameraden auf ihn zukamen, die sich ganz groß fühlten, wenn sie unter den Augen des (inzwischen nicht mehr ganz so jungen) Bürgermeisters, der Honoratioren und Reichen der Stadt ein Gespräch mit dem bedeutenden Redner anknüpften. Nicht ausgeschlossen, dass diese Männer in den fraglichen Jahren selbst zum Kreis der Jungen gehört hatten, die ihm nach der Schule mit Knüppeln und Lederriemen auflauerten und ihm das giftige Heil Hitler zubellten, bevor sie ihn alle zusammen schlimm zurichteten.
    Wie vom Licht angezogene Motten konnten diese einstigen Schulkameraden nicht anders, als sich dem strahlenden Mittelpunkt zu nähern – auf die Gefahr hin, sich an seinem Sarkasmus zu verbrennen –, mit dem sie sich durch so etwas wie eine gemeinsame Vergangenheit – wie war das damals noch gleich? – verbunden fühlten.
    »Was für eine interessante Geschichte! Und welche Ehre, Ihnen die Hand schütteln zu dürfen. Erinnern Sie sich an mich? Ich glaube, wir sind zusammen in dieselbe Klasse gegangen.« Damit führte sich so ein alter Herr im Jackett meist ein, Bauch leicht vorgeschoben, Beine scheinbar leger auseinander, eine Hand in der Hosentasche und ein Ich-bin-ein-Weltbürger-Lächeln auf dem Gesicht, mit dem sich jede Unsicherheit und jede Wissenslücke überspielen ließen. Dazu dann die Haltung des »Wir haben diese alte Geschichte zum Glück alle längst hinter uns gelassen«.
    O wie angeregt man war, während man im Innersten danach fieberte – welche Chance! –, mit so einem warmen, vertraulichen Gespräch zugleich den Schmutz von der Geschichte zu waschen, als handelte es sich um einen kleinen Fleck. Als räumte man ein kleines Versehen aus. Der Inhalt von Hermans Vortrag ging an solchen Leuten offenbar gänzlich vorbei.
    Mein Vater wusste nach kurzem Ausloten immer exakt, welchem Lager der Jeweilige früher angehört hatte.
    »Ach, wirklich?«, erwiderte er dann. »Das ist ja ein hübscher Zufall! Sie waren also damals auf dem Gymnasium…« So ein Gespräch endete nie elegant.
    Dennoch wuchs Herman in seiner Ehrenbürgerrolle. Die Deutschen hätten es ganz gern, wenn man sie ein bisschen mit ihrer Vergangenheit quäle, sagte er oft. Für sie sei es schön, dort, wo es zwicke und wehtue, gereizt und provoziert und beleidigt zu werden, erklärte er uns. Das helfe bei der Vergangenheitsbewältigung.
    »Ach komm, Herman, was soll denn der Unsinn!«, widersprach Iezebel dann. »Die Leute haben doch bis auf wenige Ausnahmen den Krieg gar nicht erlebt! Und der Bürgermeister ist durch und durch koscher, a rechter mentsch. « Obwohl meine Mutter keine Jüdin ist, liebt sie jiddische Ausdrücke.
    Nur Iezebel zuliebe hatte mein Vater die Ehrenbürgerwürde überhaupt angenommen. Aber diese Ehre tat ihm auch ein bisschen gut. Das war nicht zu verhehlen. Das sah sogar ich.
    Und jetzt, da er tot war, erwiesen sie sich in Baden-Baden wiederum als durch und durch koscher und luden zu einer schönen Gedenkfeier für Herman Silverstein ins Rathaus. Ich überredete meine Mutter, gemeinsam hinzufahren.
    Ich war entzückt, dass ich auf diese Weise die Gelegenheit erhielt, die Geburtsstadt meines Vaters kennenzulernen. Zu sehen, wo er als kleiner Junge gelebt hatte. Und insgeheim hoffte ich auch, dort Informationen über meine Großmutter Zewa zu finden. Nach dem ängstlichen Gemurmel meines Vaters träumte ich dauernd von ihr. Mir war schon fast, als würde ich sie dort treffen. Als wohnte sie noch dort.
    7
     
    Je weiter sich unser Hochgeschwindigkeitszug BadenBaden näherte, desto näher rückten die üppig begrünten Hänge des Schwarzwalds. Das ließ mich von Ferien träumen, die ich nie erlebt hatte, und einer Zeit, in der ich noch nicht auf der Welt gewesen war. Aus Erzählungen wusste ich, wie sehr sich mein Vater früher während der Bahnreisen nach Deutschland an weiß gedeckten Tischen deftige deutsche Gerichte hatte schmecken lassen. Ihm lief das Wasser im Munde
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