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Der Sohn (German Edition)

Der Sohn (German Edition)

Titel: Der Sohn (German Edition)
Autoren: Jessica Durlacher
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zusammen, wenn er mit glänzenden Augen deren Namen auflistete.
    Ich malte mir lebhaft aus, wie er, eine Serviette um den Hals, geschlemmt hatte wie ein gieriges großes Kind, das unbeaufsichtigt seinem Heißhunger nachgeben konnte. Das Aroma von Knoblauch und Sahne passte auch in so eine fahrende Rakete. Die Erzählungen meines Vaters kamen aus längst vergangener Zeit, aber sie waren stark. Weiß gedeckte Tische und livrierte Kellner machten sich immer gut. Ich konnte mir unschwer das Gefühl der Genugtuung und die unterschwellige Wut vergegenwärtigen, die diese Mahlzeiten bei meinem Vater auslösten, wie er selbst gesagt hatte.
    Ich hätte Iezebel gerne gefragt, ob sie mehr über Zewa wusste, aber ich tat es lieber nicht, solange Tara dabei war. Zwischen Tara und mir schwelte nämlich ein latenter Streit in Bezug auf alles, was mit der Vergangenheit zu tun hatte – Überbleibsel eines kindischen alten Zwists.
    Wir quartierten uns in einem Hotel ein, das von außen viel hermachte, im Innern aber nichts von dem für Baden-Baden typischen hochherrschaftlichen Stil besaß. Iezebel hatte Zimmer sechzehn, ich teilte mir mit Tara die Nummer vierzehn.
    Wortlos schloss ich die Zimmertür auf. Während ich meinen Koffer auf dem Bett ablegte, in dem ich zu schlafen gedachte, gab Tara einen Stoßseufzer von sich.
    »Großer Gott, ich weiß nicht, ob ich das alles verkrafte«, sagte sie.
    Sie bot ein Bild des Jammers. Offensichtlich zermarterte sie sich das Hirn. Ich konnte förmlich den Geigerzähler knattern hören, mit dem sie ihre Empfindungen maß. Sie bereute, dass sie mitgefahren war, das war mir inzwischen nur allzu klar. Es hatte schon im Zug angefangen. Als der Zugkellner sich erkundigte, ob wir Tee, Kaffee oder ein Erfrischungsgetränk wollten. Er trug einen tadellosen schwarzen Anzug. Die Tische waren mit weißen Tischtüchern gedeckt.
    »Widerlich«, knurrte Tara, als er weg war. »Dieses Deutsch ist einfach zum Kotzen.«
    »Herrje, Tara, woher willst du denn schlechte Erinnerungen an die deutsche Sprache haben?«, wandte ich ein. »Der Einzige, den du ab und zu deutsch hast sprechen hören, war Papa. Und der hat nun wirklich nicht dauernd ›Heil Hitler‹ gebrüllt!«
    Ich hatte Spätzle bestellt, nicht, weil ich sie so gern mag, sondern als Ehrerweisung an meinen Vater. Meine Mutter nahm Weißwurst. Tara wollte nur einen Salat mit Ei.
    »Ach nee, das hast du dir ja hübsch zurechtgelegt«, pflaumte Tara mich an. »Aber vielleicht darf ich auch noch eine Meinung haben? Für mich ist Deutsch eine ekelhafte Sprache. Ekelhafte Leute, ekelhaftes Land. Das ist eben meine Meinung. Diese Sprache ist hart, dazu geschaffen, laut geschrien zu werden, um in Stadien jubelnde Idioten aufzuhetzen. Die haben meine Familie umgebracht. Ist doch so, oder? Soll ich das einfach mal eben vergessen, nur weil wir gerade so gemütlich in diesem Zug zusammensitzen? Verdammt scheinheilig ist das. Und insgeheim denkt ihr genauso, aber ihr habt zu viel Schiss, um das auch laut zu sagen. Stimmt’s, oder hab ich recht?«
    »Muss das jetzt wirklich sein, Tara?«, fragte ich daraufhin nur.
    Wir waren doch Hermans Frauen, Hermans Witwen. Meine Mutter und ich sahen uns ganz kurz an, beinahe verschreckt.
    Dann machte ich noch einen Versuch: »Aber Papa war doch auch ein Deutscher, Tara! Fast mehr Deutscher als Jude. Er liebte die Berge, die Wälder, die Seen in Deutschland. Er fand sogar die Sprache schön. Sein Deutsch war auch schön, schön und weich. Er mochte das Essen hier unheimlich gern, Tara, die knusprigen Brötchen, dick mit Quark und Marmelade bestrichen, den Aufschnitt, Spätzle und Nudeln mit Rahmsoße. Und er liebte die Konditoreien. Wer sind wir, dass wir uns anmaßen könnten, das zu hassen, was er liebte – allem zum Trotz, was ihm daran hätte zuwider sein können? Er hatte doch unendlich viel mehr Gründe, Deutschland zu hassen, als wir!«
    Verwirrt starrte sie mich an.
    »Was hat denn das mit mir zu tun?«, sagte sie dann störrisch und offenkundig tief davon überzeugt, dass sie mit der Stimme der Vernunft sprach und nicht ich. »Ich habe doch wohl genauso viel Recht, Deutschland zu hassen oder zu lieben wie Papa, oder etwa nicht? Jeder hat ja wohl das Recht auf seine eigenen Gefühle. Und ich fühle eben so! Deutschland hat meine Kindheit verpestet und mich traumatisiert! Ich darf Deutschland hassen. Und das tue ich auch. Ich hasse diesen Zug, und ich hasse das verdammte Baden-Baden. Ich werde nicht schleimen oder mich
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