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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Autoren: Torsten Fink
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drang unwirkliches Stöhnen in den Hof. Waffenlärm klirrte herüber. Awin hörte Schlachtgebrüll. Schatten wurden von anderen Schatten in den Hof gedrängt. Waren das Harmins Leute? Er kroch weiter. »Merege, es ist noch nicht vorbei.«
    Sie öffnete die Augen. Awin wandte den Blick ab. Das leuchtende Weiß schien ihm heller als je zuvor. »Du musst mir helfen, Awin«, flüsterte sie schwach, »so viel Kraft, ich kann nichts sehen.«
    »Die Winde - wie hast du das gemacht?«
    »Windskrole. So dumm«, flüsterte Merege heiser. »Der Heolin. Dafür wurde er geschaffen. Für ihresgleichen.« Sie atmete schwer. »Ich habe mehr gegeben, als im Stein war. Du musst mir helfen, Awin.«
    Er musterte sie besorgt. Sie wirkte völlig erschöpft, und sie hatte nur gegen Slahans Diener gekämpft, nicht gegen die Göttin selbst. Wie sollte sie das schaffen?
    Die Welt geriet in Bewegung. Der Boden erzitterte, und Awin sah mit Schrecken, wie die Wurzeln der Bäume aus der Erde schossen und nach ihnen zu greifen schienen. Eine Ulme stürzte in ihre Richtung. Er zerrte Merege zur Seite. Alle Bäume zwischen ihm und diesem Platz schienen lebendig
geworden zu sein. Wie sollte er nur zum Kreis gelangen? Er wich mit Merege weiter zurück, denn noch mehr Wurzeln brachen vor ihm aus dem Boden und fassten nach ihm. Plötzlich tauchte Mahuk neben ihm auf. »Aschuli! Aschuli!«, rief der Raschtar und hielt den Wurzeln seinen Stab entgegen. Sie erzitterten.
    »Baumzauber? Sie soll Yeku nicht mit Baumzauber kommen!«, rief der Raschtar grimmig, sprang einen Schritt nach vorn und rief noch einmal: »Aschuli! Aschuli! Bäume seid ihr, Blätter, Wurzeln. Nichts anderes! Aschuli!« Er schlug mit seinem Stab auf den Boden, noch einmal. Die unheimliche Kraft, die die Wurzeln aus der Erde getrieben hatte, schien sie zu verlassen. Sie erschlafften, und Bäume neigten sich knarrend, als ihr Wurzelwerk, das die schützende Erde verlassen hatte, von der feindseligen Macht aufgegeben wurde. Einige fielen. Eine besonders stattliche Ulme neigte sich langsam dem weißen Platz zu. Es war, als wehre sie sich, als wolle sie um keinen Preis mit der Kuppel in Berührung kommen, aber dann fiel sie doch. Ihre Krone durchstieß die Schleier aus Licht und ging sofort in Flammen auf. Die starken Äste waren verbrannt, noch bevor sie den Boden berührten.
    »Schnell jetzt, bevor sie neues Unheil ersinnt!«, rief Mahuk. Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    Awin zog die taumelnde Merege hinter sich her. Sie zitterte am ganzen Leib. Er hatte keine Ahnung, wie sie nun einer Göttin gegenübertreten sollte, aber was blieb ihnen übrig? Ein Zischen drang aus der leuchtenden Kuppel. Awin blieb stehen, vor ihm waberte Licht über das Pflaster des achteckigen Platzes. Eine leise Stimme drang an sein Ohr. Sie kam aus dem Inneren des Kreises: »Kehre um. Sie ist schon halb tot. Willst du sie ganz töten?«, flüsterte es weich. Slahan schien völlig unbeweglich dort zu verharren. Ihre Hand lag immer noch auf
der hüfthohen gleißenden Säule. Awin biss die Zähne zusammen. Er musste dort hinein, es gab keine andere Möglichkeit. »Wird es gehen, Merege?«, fragte er. Das Mädchen nickte. Er würde ihr nicht von der Seite weichen, gleich, was geschah! Mabak kam gerannt und brachte den Heolinstab. Der Stein war erloschen, aber Awin nahm ihn trotzdem. Der Lärm vom Tor wurde lauter. Er hörte Krieger, die Mareket und Uo anriefen, er hörte das vielfache »Hakul! Hakul!«. Pferde wieherten. Es musste Verstärkung eingetroffen sein. Erkennen konnte er nichts, denn das Licht blendete ihn. Er streckte die Hand aus. Brennender Schmerz fuhr durch seinen Arm, als er die Kuppel berührte. Er zuckte zurück. Die Hitze war zu stark. Sie konnten dieses Hindernis nicht überwinden, nicht lebend. »Sie hat uns ausgesperrt, Merege«, flüsterte Awin. Er sah die Göttin verzerrt durch die Kuppel. Sie schien sie ebenfalls zu beobachten. Hoffte sie vielleicht, sie würden sich tollkühn auf sie stürzen und bei lebendigem Leib verbrennen?
    »Die Ulme, Awin«, verlangte Merege leise, »bring mich näher zu der brennenden Ulme.« Als Awin sie dort hinführte, spürte er, wie schwach sie war. Er bezweifelte, dass sie sich allein auf den Beinen halten konnte. Der gestürzte Baum brannte wie eine Fackel, und der Teil seiner Krone, der ins Innere der Kuppel gestürzt war, war bereits vollständig zu Asche zerfallen. Nur starker Qualm, der vom geschwärzten Pflaster aufstieg, zeugte noch von den Ästen, die
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