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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Autoren: Torsten Fink
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hier draußen nicht besser.«
    »Skefer«, sagte der junge Kolyn mit Kennermiene.
    Tuge warf ihm einen halb belustigten Blick zu. »Soso, junger Freund, dann verrate mir doch, was Skefer so weit von seiner Heimat entfernt will.«
    »Er geht dem Sturm voraus«, behauptete der Knabe kühn. Wela grinste. »Du kennst die Winde der Slahan gut, Kolyn«, lobte sie ihn.
    »Ja, und jetzt ist es auf einmal Dauwe, der mit seinem Schweigen Nyet ankündigt.«

    »Dauwe erscheint nie im Winter«, belehrte ihn Tuge. Er spürte einen Stich im Bein, eine alte Wunde, die ihn bei Wetterwechseln oft plagte. Die gelbe Wand war in die Höhe gewachsen und schon beträchtlich näher gerückt. »Vielleicht ist es wirklich Nyet«, sagte er mit einem Achselzucken, »und vielleicht vertreibt er diesen elenden Frost. Dann soll mir sein Zorn willkommen sein.«
    »Soll ich Malde und Meryak warnen?«, fragte Wela.
    »Sie werden es schon selbst bemerken. Außerdem glaube ich nicht, dass du sie noch vor dem Sturm erreichen würdest.« Tuge legte die Stirn in besorgte Falten. Dieser Sturm kam sehr schnell näher, selbst für Nyets Verhältnisse. Eine leichte, milde Brise wehte plötzlich um die Halteseile seines Zeltes, und der Bogner vermeinte, ein leises Flüstern im Wind zu vernehmen.
    Auch Wela hatte es gehört. »Seweti?«, fragte sie erstaunt.
    Tuge schüttelte den Kopf. »Die Tänzerin verspottet jene, die Nyet in offener Wüste begegnen und sich hinterher fluchend aus dem Sand ausgraben. Niemals geht sie einem Sturm voraus«, sagte er langsam.
    »Holla, Tuge, was geht da vor?«, rief eine Stimme. Es war Gregil, Yaman Aryaks Witwe, die vor ihr Zelt getreten war und den Himmel musterte.
    Tuge zögerte mit einer Antwort. Der Sturm raste heran. In wenigen Augenblicken würde er über ihren Zelten zusammenschlagen. Es war Zeit, hineinzugehen und den Eingang zu verschließen. Dann konnte man nur noch einen Sud aufsetzen, dem Wind lauschen und warten. Die Winterzelte der Hakul waren ein gutes Stück in die Erde eingegraben und konnten selbst einem sehr wütenden Nyet trotzen. Aber Tuge zögerte. Das Flüstern im Wind war jetzt nicht mehr zu überhören. Es erinnerte ihn an die Geschichten der Alten. An Erzählungen aus der fernen Zeit, bevor Etys mit dem Lichtstein die Gefallene
Göttin gebannt hatte, als Xlifara Slahan, die Verfluchte, in Gestalt eines Sturmes die Zelte der Hakul heimgesucht und Menschen verschleppt hatte, um mit ihrem Blut ihren ewigen Durst zu stillen. Und zuvor hatte Seweti die Tänzerin zu jener Zeit die Hakul verhöhnt, ihnen mit ihrem Flüstern Angst gemacht. Tuge erbleichte.
    Der Lichtstein war geraubt worden, er schützte sie gar nicht mehr vor der rachsüchtigen Göttin. Die ersten Windböen drängten ins Zelt und ließen die ledernen Häute knarren. Ein süßlicher Geruch stieg dem Bogner in die Nase. Er formte die Hände zu einem Trichter, um den Wind zu übertönen, und rief Gregil zu: »Ins Zelt, ins Zelt, es ist Xlifara! Slahan kommt, um unser Blut zu holen!« Er war sich nicht sicher, ob die Yamani ihn verstanden hatte. Wela starrte ihn ungläubig an, dann verstand sie und rief: »Schnell, wir müssen die anderen …«
    Tuge packte sie am Kragen und hielt sie fest. »Bleib. Es ist zu spät. Die Göttin ist hier.« Und mit diesen Worten zog er die widerstrebende Wela und den jungen Kolyn hastig in sein Zelt.
    »Aber, Onkel …«, begann Wela.
    Tuge beachtete sie nicht, er zog die Verschlüsse des Eingangs fest. Der süßliche Geruch drang dennoch herein. Es roch nach Tod und Verwesung. Er sah sich um und versuchte, sich an die alten Geschichten zu erinnern. Es gab etwas, das die Alten gepredigt hatten: Schutz, einen Weg, die Gefallene Göttin am Betreten eines Zeltes zu hindern. Das Rundzelt wankte unter einem heftigen Schlag. Der Sturm war da. Stimmen waren im Wind, ein Stöhnen und Wimmern, das dem Bogner durch Mark und Bein ging. Kolyn sah ihn ängstlich an.
    »Den Trog, vor den Eingang, schnell!«, rief Tuge und lief selbst schon zu dem schweren Bottich, in dem er sonst den Bogenleim anzurühren pflegte. Wela packte mit an. »Den Eimer, Junge, den Wassereimer, aber lass ihn nicht fallen!«,
herrschte Tuge den verstörten Kolyn an. Dieser nickte verwirrt und schleppte stolpernd den Wassereimer heran. Tuge goss das Wasser in den Trog. Würde das wirklich ausreichen? Er sandte ein Stoßgebet an Tengwil, die Schicksalsweberin, sie möge auf ihre Fäden achten. Es wurde dunkel, und das kleine Feuer schien zu schrumpfen,
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