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Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger

Titel: Der Sohn des Sehers 02 - Lichtträger
Autoren: Torsten Fink
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die Wand aus Licht durchstoßen hatten. Awin war klar, dass jedem, der mit der Kuppel in Berührung kam, das gleiche Schicksal drohte. Merege streckte ihre Linke nach einem Ast aus, über den Flammen leckten. Sie beachtete die Flammen nicht, die nach ihrer Hand züngelten, und krallte sich in Awins Arm fest. Er fühlte plötzlich wieder die unangenehme Kälte, die er schon zweimal bei ihren Zaubern erfahren hatte. »Nur zwei Schritte, Awin. Dafür wird es
reichen«, hauchte Merege, schloss die Augen und murmelte: »Gul-sen suoli! Nawiar skerik!«
    Awin schnappte nach Luft - dann war es schon vorbei. Er blinzelte verwirrt. Sie standen inmitten dichter Rauchschwaden - auf der Innenseite der Kuppel. Er musste husten, denn der Qualm brannte in seinen Lungen. Merege neben ihm löste sich aus seinem Griff. Jede Schwäche schien von ihr abzufallen. Sie streckte sich. »Hier ist so viel … Kraft«, flüsterte sie, beinahe andächtig. Awin blickte zurück. Es waren wirklich nur drei oder vier Schritte gewesen, die sie mit Hilfe des Zaubers gesprungen waren. Der Baum brannte lichterloh. Offenbar hatte Merege dieser Ulme den letzten Rest Leben geraubt, um sie hierherzubringen, und das Feuer fraß sich nun in Windeseile durch das tote Holz. Dahinter war mit einem Mal alles voller Krieger, und es wurde gekämpft, aber das erschien Awin, wie alles, was außerhalb der Kuppel geschah, unwirklich und blass. Sie waren drinnen, das allein zählte. Rauchschwaden standen über dem Pflaster, die Mauer aus Licht schien sie nicht abziehen zu lassen. Die Speichen waren verschwunden. Awin hustete wieder.
    »Ah! Es ist vergebens, dass ihr euch müht. Gebt auf«, schlug eine weiche Stimme vor. »Warum wollt ihr sterben, wo ihr doch ein Leben voller Ruhm an meiner Seite führen könntet?«
    Awin hielt den Heolinstab umklammert. Ein winziger Funke war im Lichtstein aufgeglommen, mehr nicht. Awin fragte sich, wie dieses winzige bisschen Licht dort hingekommen war. Aber es war zu wenig, viel zu wenig, um Hoffnung auf einen Sieg gegen die Göttin zu haben. Er biss die Zähne zusammen. Es gab kein Zurück. Merege zog ihr Schwert. Sie hatte sich aus seinem Griff gelöst und stand neben ihm, als sei nichts geschehen, doch ihre Augen leuchteten noch weiß. Die Schleier aus Licht knisterten. Awin zog seinen Dolch - sein Schwert musste er irgendwo verloren haben - und nahm Aufstellung neben
Merege. Er würde bei ihr bleiben, komme, was da wolle. Die Göttin faltete die Hände und lächelte. »Eure Waffen sind nutzlos«, hauchte sie freundlich. »Deine Zauber sind ohne Wirkung, Kind. Und du, Mensch, willst du dich wirklich mit einer Unsterblichen messen?«
    Sie näherten sich der Feindin vorsichtig. Ihre Umrisse waren nun fassbarer, wirklicher geworden. Awin sah zum ersten Mal ihr Gesicht. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas gesehen, das so schön und gleichzeitig so erschreckend war. Slahans Züge waren vollkommen, aber auch bestürzend, denn diese Schönheit war menschenähnlich, aber nicht menschlich, und wenn sie lächelte oder sprach, dann sah er, dass Slahans Körper nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus ungezählten Sandkörnern bestand. Und wenn sie sich bewegte, dann war es immer nur Sand, der eine veränderte Form annahm. Die rechte Hand der Göttin krallte sich in die Säule. Awin erkannte jetzt, dass sie nicht aus Stein war, wie er angenommen hatte, sondern ganz aus ungezählten Sandkörnern bestand, wie die Göttin selbst - und jedes einzelne Korn schien zu leuchten. Jetzt streckte die Göttin die Linke zum Pflaster aus und zischte einen Befehl. Der Boden unter Awin geriet in Bewegung. Eine heftige Erschütterung ließ ihn taumeln. Risse sprangen über das Pflaster, und eine unsichtbare Macht schien sich von unten gegen die Steine zu stemmen. Die ersten lösten sich bereits. Merege hob ihre Hand. »Uo jega!« , flüsterte sie - und stockte.
    Die Göttin lachte. »Er kann dich nicht hören, Kind. Ihr seid mit mir allein. Und weder Menschen noch Götter können euch helfen.«
    Das Pflaster barst, und ein Kopf und eine Schulter brachen aus der Erde. Die zweite Schulter folgte. Ein gewaltiger Koloss begann, sich aus dem Boden zu stemmen. Er hielt ein riesiges Schwert in der Faust. Ein zweites Krachen ließ den Boden
erzittern, und ein weiterer Koloss brach sich stöhnend die Bahn. »Awin, ich kann nicht kämpfen, Uo hört mich nicht«, rief Merege verzweifelt.
    Awin biss sich auf die Lippen. Was hatten sie Slahan noch entgegenzusetzen?
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