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Der Sklave von Midkemia

Der Sklave von Midkemia

Titel: Der Sklave von Midkemia
Autoren: Raymond E. Feist
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verspürte plötzlich einen Stich, als sie den Körper des Mannes näher betrachtete, der von harter Arbeit bei mageren Rationen schlank wie eine Gerte war. Während sie sich zur Ruhe zwang, überlegte sie, ob Hokanus Gegenwart sie tiefer beeinflußt hatte, als sie es für möglich gehalten hätte. Die Männer, denen jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit gelten sollte, standen dort unten in dem Verschlag, und ihr Interesse an ihnen war einzig finanzieller Natur.
    Mara hörte auf, den Mann unverblümt zu taxieren, und wandte sich seiner Auseinandersetzung mit dem Aufseher und seinen Gehilfen zu. Die Tirade des Maklers erreichte ihren Höhepunkt, dann war er außer Atem. Ein letztes Mal schüttelte er drohend seine Faust in der Höhe des Schlüsselbeins des Barbaren. Zu Maras absoluter Verblüffung zeigte der Sklave keinerlei Anzeichen von Unterwerfung. Statt sich vor den Füßen des Maklers demütig mit dem Gesicht nach unten auf den Boden zu werfen und still die verdiente Strafe zu erwarten, strich er sich über den Bart und begann mit voller Stimme in gebrochenem Tsurani zu sprechen; seiner Haltung nach empfand er sich eher als ein Vertrauter denn als gehorsames Eigentum.
    »Bei den Göttern, schaut Euch das an!« rief Lujan verwundert aus. »Er benimmt sich, als hätten Sklaven das Recht zu diskutieren. Wenn sie alle so dreist sind wie dieser Bursche, wundert es mich nicht, wenn ein Herr ihnen die Haut vom Leib peitschen muß, um sie auch nur einen halben Tag zum Arbeiten zu bewegen.«
    »Still.« Mara gebot Lujan mit einer abwehrenden Handbewegung zu schweigen. »Ich möchte das hören.« Sie bemühte sich, das mangelhafte Tsurani des Barbaren zu verstehen.
    Plötzlich stockte der Midkemier. Er neigte seinen Kopf etwas zur Seite, als hätte er gesagt, was zu sagen war. Der Makler schien zu kochen. Er gab dem Gehilfen mit der Tafel ein Zeichen und sagte in verzweifeltem Ton: »Stellt euch in eine Reihe! Sofort!«
    Gemächlich setzten die Sklaven sich in Bewegung und stellten sich nebeneinander auf. Die erhöhte Galerie ermöglichte Mara einen Blick auf die gesamte Szene, und sie sah, wie die Barbaren in dem Tumult versuchten, zwei ihrer Kameraden zu decken, die vor der zum Fluß zeigenden Holzpalisade kauerten.
    »Was haben sie vor?« fragte sie Lujan.
    Der Krieger zuckte in kaum wahrnehmbarer, tsuranischer Weise mit den Schultern. »Irgendeinen Unsinn, schätze ich. Ich habe Needras gesehen, die mehr Hirn besaßen als dieser Makler.«
    Unter ihnen begannen der Aufseher und sein Gehilfe mit der sorgfältigen Zählung der Sklaven. Die beiden an der Palisade reihten sich verspätet ebenfalls ein, stolperten dabei jedoch absichtlich und verloren das Gleichgewicht, so daß der Buchhalter bei dem anschließenden Chaos, als sie in die Reihe platzten, den Überblick verlor. Er begann von vorn. Jedes Mal, wenn er an einem Sklaven vorbeikam, blickte er nach unten auf die Tafel und machte eine Markierung. Der Makler schwitzte und fluchte wegen der Verzögerung.
    Doch ebenfalls jedes Mal, wenn der Buchhalter sich seiner Tafel widmete, wechselten die unbeherrschbaren Barbaren ihre Position. Einer der Gehilfen ließ, um Ordnung bemüht, seine Peitsche über die Rücken einiger der Männer zischen. Ein Sklave rief daraufhin etwas in seiner Muttersprache, das verdächtig nach einer Obszönität klang, und rettete sich anschließend mit einem Sprung vor der Bestrafung. Die anderen lachten. Die Peitsche sauste herunter, versuchte diejenigen zum Schweigen zu bringen, die dem Makler am nächsten standen, doch der einzige Effekt war, daß die Reihe der Sklaven zerbrach, sie sich bewegten und hinter dem Rücken des Mannes neu aufstellten. Der Buchhalter blickte verzweifelt auf. Wieder waren die auf der Tafel niedergeschriebenen Zahlen hoffnungslos durcheinandergeraten.
    In beschämender Weise offenbarte der Makler seine Ungeduld und rief: »Wir werden nichts als Asche sein, wenn du damit endlich fertig bist!« Er blickte an den Rand des Verschlags und klatschte in die Hände, und einen Augenblick später trippelte ein Diener mit einem Korb voller grobgewebter Hosen und Hemden herein. Er begann die Kleidung unter den Sklaven zu verteilen.
    In diesem Augenblick fing der rothaarige Barbar an, den Aufseher wüst zu beschimpfen. Sein Tsurani war zwar gebrochen und deutlich falsch betont, doch irgendwann seit seiner Gefangennahme mußte ihm ein namenloses Bettlerkind die Sprache gut beigebracht haben. Der Aufseher öffnete in ungläubigem Staunen
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