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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein
Autoren: Robert Silverberg
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kniete vor den Überresten eines kleinen Feuers und stocherte mit einem langen Zweig in der Asche. Seltsamerweise lag der Geruch von verbranntem Haar in der Luft. »Ich hatte gehofft, Ihr wärt mit mir fertig«, sagte er.
    »Noch nicht ganz«, antwortete sie. »Verbrennt Ihr Eure Zukunft? Ich glaube, viele werden traurig sein, wenn Ihr in der Großen Fäule sterbt.«
    »Ich verbrenne meine Vergangenheit«, sagte er und erhob sich. »Verbrenne Erinnerungen. Eine Nation. Der Goldene Kranich wird nie wieder fliegen.« Er wollte Schmutz mit dem Fuß über die Asche schieben, besann sich aber, bückte sich, hob feuchte Erde auf und ließ sie fast förmlich aus den Händen rieseln. »Niemand wird um mich trauern, wenn ich sterbe, weil alle, die es tun würden, selbst schon tot sind. Außerdem müssen alle Menschen sterben.«
    »Nur Narren entscheiden sich dafür, vor ihrer Zeit zu sterben. Ich möchte, daß Ihr mein Behüter werdet, Lan Mandragoran.«
    Er betrachtete sie mit einem starren Blick, dann schüttelte er den Kopf. »Ich hätte wissen müssen, daß es darauf hinausläuft. Ich habe einen Krieg zu führen, Aes Sedai, und verspüre nicht den Wunsch, Euch zu helfen, Netze der Weißen Burg zu knüpfen. Sucht Euch einen anderen.«
    »Ich führe denselben Krieg wie Ihr, gegen den Schatten. Merean war eine Schwarze Ajah.« Sie erzählte ihm alles, von Gitaras Weissagung in Gegenwart der Amyrlin und zweier Aufgenommener, bis zu dem, was sie und Siuan sich zusammengereimt hatten. Bei einem anderen Mann hätte sie das meiste unausgesprochen gelassen, aber zwischen einer Aes Sedai und ihrem Behüter gab es kaum Geheimnisse. Bei einem anderen Mann hätte sie es abgeschwächt, aber sie glaubte nicht, daß ihn unsichtbare Gegner erschreckten, nicht einmal, wenn es sich um Aes Sedai handelte. »Ihr habt gesagt, Ihr hättet Eure Vergangenheit verbrannt. Laßt die Vergangenheit ihre Asche haben. Dies ist derselbe Krieg, Lan. Die bedeutendste Schlacht in diesem Krieg. Und diese könnt Ihr gewinnen.«
    Lange Zeit schaute er nach Norden, in Richtung der Großen Fäule. Sie wußte nicht, was sie tun würde, wenn er sich weigerte. Sie hatte ihm mehr erzählt, als sie einem anderen als ihrem Behüter je erzählt haben würde.
    Plötzlich drehte er sich um, zog blitzschnell sein Schwert, und einen Moment lang dachte sie, er würde sie angreifen. Statt dessen sank er auf die Knie, das blanke Schwert auf den Händen. »Beim Namen meiner Mutter, ich werde das Schwert ziehen, wenn Ihr sagt, ›ziehen‹, und es einstecken, wenn Ihr sagt, ›einstecken‹. Beim Namen meiner Mutter, ich werde kommen, wenn Ihr sagt, ›komm‹, und gehen, wenn Ihr sagt, ›geh‹.« Er küßte das Schwert und sah erwartungsvoll zu ihr auf. Wie er da kniete, wirkte jeder König auf seinem Thron demütig gegen ihn. Sie würde ihm um seinetwillen etwas Bescheidenheit beibringen müssen. Und wegen eines gewissen Teichs.
    »Da ist noch eine Kleinigkeit«, sagte sie und legte ihm die Hände auf den Kopf.
    Das Weben des Geistes gehörte zum Kompliziertesten, das eine Aes Sedai kannte. Er wurde um ihn herum gewoben, drang in ihn ein, verschwand. Plötzlich nahm sie ihn so wahr, wie Aes Sedai ihre Behüter wahrnehmen. Seine Emotionen waren ein kleiner Knoten in ihrem Hinterkopf, ganz stählerne Entschlossenheit, scharf wie die Schneide seines Schwerts. Sie erfuhr den dumpfen Schmerz alter Verletzungen, gedämpft und mißachtet. Bei Bedarf würde sie von seiner Kraft zehren können, ihn finden, wie fern er auch sein mochte. Sie waren verbunden.
    Er erhob sich geschmeidig, steckte das Schwert ein, sah sie an. »Männer, die nicht dabei waren, sprechen von der Schlacht bei den Leuchtenden Mauern«, sagte er unvermittelt. »Männer, die dabei waren, sprechen vom Blutschnee. Nicht mehr. Sie wissen, daß es eine Schlacht war. Am Morgen des ersten Tages habe ich fast fünfhundert Männer befehligt. Kandori, Saldaeaner, Domani. Am Abend des dritten Tages war die Hälfte tot oder verwundet. Hätte ich andere Entscheidungen getroffen, würden einige der Toten vielleicht noch leben. Und andere wären an ihrer Stelle tot. Im Krieg spricht man ein Gebet für seine Toten und reitet weiter, weil hinter dem Horizont stets schon die nächste Schlacht wartet. Sprecht ein Gebet für die Toten, Moiraine Sedai, und reitet weiter.«
    Sie war so verblüfft, daß sie fast mit offenem Mund dagestanden hätte. Sie hatte vergessen, daß der Strom des Bandes in beide Richtungen floß. Auch er
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