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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf
Autoren: Jack London
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und bedeckt gewesen, jetzt aber brach die Sonne durch die Wolken und schien auf die geschwungene Küstenlinie, wo wir gemeinsam die Herren des Harems herausgefordert und die jungen Bullen erlegt hatten. Die gesamte Mühsalinsel erstrahlte im Sonnenlicht und selbst die Felsen an ihrem südwestlichen Ende wirkten nicht mehr bedrohlich.
    »Ich werde immer voller Stolz an sie zurückdenken«, sagte ich zu Maud gewandt.
    Wie eine Königin warf sie den Kopf zurück. »Liebe, liebe Mühsalinsel, ich werde dich immer lieben!«
    »Ich auch«, sagte ich rasch.
    Wir vermieden es, uns in die Augen zu sehen, und es herrschte eine befangene Stille.
    »Sehen Sie sich diese düsteren Wolken in Luv an. Ich sagte gestern Abend ja schon, dass das Barometer fällt.«
    »Die Sonne ist auch verschwunden«, entgegnete sie, während ihre Augen noch immer an der Mühsalinsel hingen.
    »Also, auf nach Japan!«, rief ich froh. »Ein günstiger Wind und volle Segel, mehr brauchen wir nicht zu unserem Glück.«
    Ich lief nach vorn und hatte alles vorbereitet, als ein kräftiger Sturm aufkam. So lange wie möglich wollte ich die Segel gesetzt lassen, auch wenn ich so das Ruder nicht festsetzen konnte und womöglich die ganze Nacht über am Steuer ausharren musste.
    Natürlich wollte Maud mich unbedingt ablösen, sah aber ein, dass sie bei diesem Wetter nicht steuern konnte. Es gab trotzdem genug für sie zu tun: Sie setzte die Fallen und Leinen durch, kümmerte sich um das Essen, machte die Betten und pflegte Wolf Larsen.
    Hinterher ließ sie sich nicht davon abbringen, auch noch einen gründlichen »Hausputz« durchzuführen.
    Ich stand die ganze Nacht hindurch am Steuer, während der Wind beständig zunahm und die Wogen immer höher wurden. Um fünf Uhr früh brachte Maud mir heißen Kaffee und Kekse, die sie gebacken hatte. Um sieben verhalf mir ein prachtvolles Frühstück zu neuer Kraft und frischem Mut.
    Den ganzen Tag über nahm der Wind weiterhin zu. Mit mindestens elf Knoten raste die Ghost schäumend durch den Ozean. Es wäre ein Jammer, diese hervorragenden Bedingungen nicht auszunutzen, aber als die Nacht hereinbrach, war ich am Ende meiner Kräfte. Trotz meiner glänzenden körperlichen Verfassung waren sechsunddreißig Stunden am Rad mehr als genug. Außerdem bat Maud mich inständig beizudrehen, was bald nicht mehr möglich wäre, wenn der Wind noch an Stärke zunahm. Teils erleichtert, teils widerwillig gab ich nach.
    Doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass es für einen Einzelnen so schwierig sein würde, drei Segel zu reffen. Der Sturm machte jeden meiner Versuche zunichte, indem er mir immer wieder die Leinwand aus den Händen riss. Um acht Uhr hatte ich endlich das zweite Reff in die Fock eingebunden, um elf Uhr war ich kaum weiter. Blut tropfte von meinen Fingerspitzen und sämtliche Nägel waren abgebrochen. Vor Schmerz und Erschöpfung weinte ich in der Dunkelheit, damit Maud es nicht sah.
    Ich gab auf, das Großsegel reffen zu wollen, und versuchte mithilfe der gerefften Fock beizudrehen. Bis dieses Manöver gelang, wurde es zwei Uhr früh. Mehr tot als lebendig sank ich auf einen Stuhl, wo Maud vergeblich versuchte, mir etwas Essen in den Mund zu schieben. Ich war sofort eingeschlafen.
    Irgendwann erwachte ich in meiner Koje und konnte mich nicht erinnern, wie ich dorthin gelangt war. Maud musste einen Schlafwandler geleitet haben. Ich fühlte mich steif und lahm und meine wunden Finger schmerzten, als ich damit das Bettzeug berührte. Anscheinend war es noch Nacht. Deshalb schloss ich gleich wieder die Augen. Wie konnte ich ahnen, dass ich bereits einmal rund um die Uhr geschlafen hatte?
    Als ich um sieben Uhr aufstand, war von Maud nichts zu sehen. Wahrscheinlich bereitete sie in der Kombüse das Frühstück. Ich ging an Deck und freute mich, wie glänzend die Ghost sich verhielt. In der Kombüse brannte zwar ein Feuer und Wasser kochte, aber Maud war nicht da.
    Ich fand sie neben Wolf Larsens Koje. Sein Gesicht sah entspannter aus als zuvor. Als Maud mich ansah, wusste ich, was geschehen war.
    »Sein Leben ist im Sturm erloschen?«, meinte ich.
    »Ja«, erwiderte sie, »jetzt ist er ein freier Geist.«
    Da nahm ich ihre Hand und führte sie an Deck.
    In jener Nacht legte sich der Sturm und am nächsten Morgen schaffte ich Wolf Larsens Leichnam zum Begräbnis hinauf.
    »Ich erinnere mich nur an einen Teil des Gottesdiensts«, sagte ich. »Dort heißt es: ›Und dein Leib soll ins Meer geworfen werden.‹« Maud sah
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