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Der Seewolf

Der Seewolf

Titel: Der Seewolf
Autoren: Jack London
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kommen wollten.
    Als der Fockmast stand, ging es zügig voran. Ohne größere Schwierigkeiten war bald auch der Großmast eingesetzt. Nach einigen Tagen befanden sich alle Stage und Wanten an ihren Plätzen und die Leinen waren durchgesetzt. Da Toppsegel für nur zwei Leute kaum zu bewältigen waren, holte ich die Toppmasten an Deck und machte sie fest.
    Die Fertigstellung der Segel und ihre Befestigung nahm einige weitere Tage in Anspruch. Es gab nur drei: Klüver-, Fock- und Großsegel. Da wir sie geflickt und verkleinert hatten, wirkten sie etwas lächerlich und passten nicht zu einem so stolzen Schoner wie der Ghost.
    »Hauptsache, sie tun ihre Pflicht und dafür werden wir sorgen«, jubelte Maud. »Wir werden ihnen unser Leben anvertrauen!«
    Ich konnte besser segeln als ein Schiff aufzutakeln und deshalb zweifelte ich keinen Moment daran, dass ich unser Schiff sicher zu einem japanischen Hafen bringen würde. Einige Kenntnisse über Navigation hatte ich mir inzwischen aus Büchern angeeignet. Außerdem gab es Wolf Larsens Sternenskala. Eine Erfindung, mit der sogar ein Kind umgehen konnte.
    Was den Erfinder selbst betraf, so hatte es seit einer Woche kaum Veränderungen gegeben. Abgesehen davon, dass auch die Bewegungen seiner Lippen immer schwächer wurden. An dem Tag, als wir mit den Segeln fertig waren, hörten sie schließlich ganz auf. Meine letzte Frage, die er hörte und worauf ich eine Antwort erhielt, war: »Sind Sie noch ganz da?«
    Seine Lippen signalisierten: »Ja.«
    Jetzt war auch die letzte Leine gekappt. Aber inmitten seines reglosen Körpers lebte noch immer die Seele dieses Mannes, loderte seine enorme Intelligenz. Sie brannte in völliger Dunkelheit und Stille und fand keine Ausdrucksmöglichkeit mehr.

Der Tag unserer Abreise kam. Nichts band uns mehr an die Mühsalinsel. Die verkürzten Masten waren getakelt, die unförmigen Segel angeschlagen. Alles, was ich mit meinen Händen geschaffen hatte, war stark, aber nicht schön. Ich wusste, dass es seinen Dienst erfüllen würde, deshalb erfüllte mich der Anblick mit Genugtuung. Wie schon so manches Mal fasste Maud meine Gedanken in Worte: »Wenn man bedenkt, dass Sie das alles mit eigenen Händen geleistet haben, Humphrey!«
    »Es gab noch zwei andere Hände«, antwortete ich. »Zwei kleine Hände ...«
    Lachend hielt sie ihre Hände empor und musterte sie.
    »Ich werde sie nie wieder sauber bekommen oder die Spuren von Wind und Wetter beseitigen können.«
    »Dann sollen Schmutz und Rauheit Ihnen zur Ehre gereichen«, sagte ich feierlich, während ich ihre Hände in meinen hielt. Wenn Maud sie nicht hastig fortgezogen hätte, hätte ich ihre Hände geküsst.
    Unsere kameradschaftliche Beziehung veränderte sich zusehends. Lange Zeit hatte ich meine Liebe beherrscht, doch mittlerweile beherrschte sie mich. Zunächst hatte sie sich in Blicken bemerkbar gemacht, jetzt wollte sie sich auch durch Worte ausdrücken. Ich fühlte mich so stark zu Maud hingezogen, dass ich halb verrückt war vor lauter Sehnsucht. Sie wusste es und entzog mir ihre Hände, bevor es zu spät war.
    Trotz einiger Mühen setzte ich das Großsegel mit Piek und Klau und bald flatterte auch die Fock im Wind.
    »Wir müssen den Anker kappen«, entschied ich. »Wir haben zu wenig Platz um ihn heraufzuholen, nachdem er ausgebrochen ist. Sie werden inzwischen als erste Aufgabe die Winde übernehmen, denn ich muss dann sofort ans Rad. Gleichzeitig müssen Sie den Klüver setzen.«
    Ein frischer Wind blies in unsere Bucht. Obwohl die See ruhig war, galt es zügig zu arbeiten, um sicher aufs freie Meer zu gelangen.
    Die Ghost schien lebendig zu werden, als ihre Segel sich zum ersten Mal blähten. Der Klüver wurde gesetzt, als er sich blähte, schwang der Bug des Schoners herum. Ich drehte am Rad und einen gefährlichen Augenblick lang bewegte sich die Ghost direkt auf den Strand zu. Dann aber drehte sie sich folgsam in den Wind, die Segel flatterten kräftig und füllten sich nach der geglückten Wende erneut.
    Maud hatte ihre Aufgabe beendet und kam an meine Seite. Eine kleine Mütze saß auf ihrem wehenden Haar, ihre Wangen waren gerötet und die Augen groß und strahlend vor Erwartung. Sie hatten einen wilden, kühnen Ausdruck, den ich noch nie zuvor bemerkt hatte. Sie atmete mit halb geöffneten Lippen, während die Ghost zwischen den Klippen der inneren Bucht hindurchsegelte und in sicheres Fahrwasser glitt. Bald hatten wir die offene See erreicht.
    Bisher war der Tag trüb
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