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Der Seelenleser

Der Seelenleser

Titel: Der Seelenleser
Autoren: Harper Paul
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ihrer schwarzen Seidenclutch zu suchen.
    » Was suchst du?«
    » Meine Handtasche.«
    Als sie wieder am Fußende des Bettes angelangt war, verzog sie das Gesicht und fuhr mit den Händen über den schmutzigen Teppich und unter seine Kleidungsstücke. Dort war sie.
    » Hab sie«, sagte sie. Sie musste an ihm vorbeigehen, um zur Tür zu gelangen, doch bereits der Gedanke lähmte sie, dass er den Arm ausstrecken und sie berühren könnte, dass er eine Reaktion von ihr wollte.
    Er hatte sich jetzt im Bett auf einen Ellenbogen gestützt und beobachtete sie. » Okay«, sagte er.
    » Ich rufe dich an«, sagte sie und trat auf den muffigen Gang, die Tür hinter sich schließend.
    Er stieg aus dem Bett und ging zum Fenster hinüber. Eine Minute später kam sie vorne aus dem Hotel und ging mit schnellem Schritt die Straße hinunter.
    Er drehte sich zum Bett hinüber, bückte sich, griff nach seinem Sakko und nahm die Brieftasche heraus. Er ließ das Sakko aufs Bett fallen und trat wieder ans Fenster.
    Er öffnete die Brieftasche. Alles sah normal aus. Hatte sein Führerschein einen Knick? Nein. Moment. Langsam zog er die Geldscheine aus ihrem Fach: Die Banknoten standen auf dem Kopf.
    Verdammt, aber früher oder später hatte es geschehen müssen. Vermutlich würde sie im Internet nach der Adresse suchen. Er würde erst einmal abwarten.
    Das war eine neue Entwicklung. Er hatte erwartet, dass sie von dem, was gerade geschehen war, verwirrt sein würde, aber er hatte nicht vermutet, dass ihre erhöhte innere Unruhe sie in diese Richtung führen würde. Er hatte spekuliert, dass er die Ausgefallenheit des Sex ruhig noch weiter steigern könnte, doch statt den Nervenkitzel zu erhöhen, hatte er Verdacht erregt, wenn er richtig vermutete, bezüglich dessen, was sie mit seiner Brieftasche gemacht hatte. Warum wollte sie plötzlich wissen, wer er war?
    Soweit es ihn betraf, existierte die Frau nur in den Grenzen einer sehr kleinen Welt, die er für sie geschaffen hatte. Er konnte nicht zulassen, dass sie diese geheimen Grenzen übertrat. Er könnte sich so viel Instabilität nicht erlauben. Erst recht nicht jetzt. Es stand zu viel auf dem Spiel.

Kapitel 2
    Marten Fane beobachtete aus seinem auf der gegenüberliegenden Straßenseite abgestellten Wagen heraus den Eingang des Stafford, eines kleinen Boutique-Hotels zwischen Russian Hill und Pacific Heights. Das in den 30er Jahren im Art-déco-Stil gebaute Haus war von einem hippen Unternehmerpärchen gekauft worden, die es renovieren ließen und nicht mit Geld geizten, um den Retro-Dekor wiederzubeleben, mittlerweile war es ein echter Geheimtipp.
    Der ein gutes Stück von der Straße zurückgesetzte Eingang des Hotels lag hinter einem Vorhof aus Buchsbaumhecken und alten Limettenbäumen. Ein langes waldgrünes Vordach führte zu der verspiegelten Eingangstür.
    Vera List befand sich inzwischen seit einer Viertelstunde in dem Gebäude, und Fane hatte keine Anzeichen dafür entdeckt, dass sie überwacht wurde. Er verwendete das Stafford gerne für solche Treffen, da seine Lage es ermöglichte, unerwünschte Beobachter leicht zu entdecken. Und außerdem mochte er die Räume.
    Als er aus dem Auto stieg, schaute er durch den feinen Regen zum vierten Stock hoch, auf halber Höhe des Hotels. Das Licht in dem Raum war an. Er überquerte die Straße.
    Im Foyer zog er seinen Regenmantel aus und warf einen Blick hinüber zur Lobby. Dort waren ein paar Leute, aber nichts erregte seine Aufmerksamkeit. Zu seiner Linken wirkte die dämmrige Bar so einladend wie immer. Er ging zu den Aufzügen hinüber.
    Im vierten Stock verließ er die Kabine und ging zu Zimmer 412. Er klopfte an und wartete, bis sie ihn durch den Türspion gesehen hatte. Der Riegel klickte, und sie öffnete die Tür, wobei sie vorsichtig einen Schritt zurücktrat.
    » Ich bin Marten Fane«, sagte er.
    » Hallo. Ich bin Vera.«
    Sie war vierundvierzig Jahre alt, hatte einen hellen Teint und dickes kastanienbraunes Haar, das in einem sportlichen schulterlangen Schnitt ihr ovales Gesicht einrahmte. Ihre Augen blickten intelligent und ungemein neugierig.
    » Vielen Dank, dass Sie sich bereit erklärt haben, sich mit mir zu treffen«, sagte sie, als Fane den Raum betrat. Ihre sehr präzise Aussprache klang echt, nicht bemüht. Sie wirkte besorgt, aber entschlossen– was Fane immer ein gutes Gefühl bezüglich des zu lösenden Problems gab. Sie war entschlossen, es anzupacken, was es auch sein mochte.
    » Ist doch selbstverständlich.
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